Mein Kampf gegen den bürokratischen Wahnsinn
Als ob ich mit ALS nicht schon genug hätte. Seit Jahren kämpfe ich nicht nur gegen eine unheilbare Krankheit, sondern auch gegen ein System, das mir das Leben zusätzlich schwer macht. Heute ist wieder so ein Tag, an dem ich spüre, wie entwürdigend und menschenverachtend unser Bürokratieapparat sein kann. Der Medizinische Dienst (MD) hat beschlossen, zu überprüfen, ob ich wirklich noch beatmet werden muss. Als ob ich die Krankenkasse bescheißen würde.
ALS ist unheilbar – und trotzdem wird meine Beatmung infrage gestellt
Ich habe ALS. Eine Krankheit, die meinen Körper nach und nach vollständig lähmt. Meine Muskeln funktionieren nicht mehr, mein Atem wird von einer Maschine übernommen, weil ich es allein nicht mehr schaffe. ALS ist unheilbar. Das weiß jeder, der sich auch nur minimal mit dieser Krankheit auseinandersetzt. Dennoch werde ich immer wieder behandelt, als wäre ich ein Simulant, der sich absichtlich an eine Beatmungsmaschine hängt, um die Krankenkasse zu schröpfen.
Heute habe ich den ganzen Abend damit verbracht, die Anforderungen des Medizinischen Dienstes zu erfüllen. Protokolle, Berichte, fßNachweise – ein Dschungel aus Bürokratie, der mich Stunden kostet und keine Rücksicht darauf nimmt, dass meine Zeit und Energie endlich sind. Mein Urologe war auch da, um den Katheter zu wechseln. Es gibt Tage, da ist mein Pflegezimmer voller Menschen, die mich am Leben erhalten, und ich komme trotzdem nicht dazu, die Dinge zu tun, die mir wirklich wichtig sind.
IPReG und RiSG: Gesetze, die den Bürokratendschungel verschärfen
Dass ich mich in diesem Kreislauf aus Überprüfungen und Rechtfertigungen befinde, ist keine Seltenheit. Mit der Einführung des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes (IPReG) und dem Rahmenrichtliniengesetz für strukturelle Gesundheitsversorgung (RiSG) hat sich die Lage für Menschen wie mich sogar noch verschärft. Das IPReG sollte eigentlich dazu dienen, die Qualität der außerklinischen Intensivpflege zu verbessern. Doch was auf dem Papier gut klingt, sieht in der Realität anders aus.
Seit 2020 ist der MD gesetzlich verpflichtet, regelmäßig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine außerklinische Intensivpflege noch gegeben sind. Diese Prüfungen sollen Fehlanreize verhindern – sprich: verhindern, dass Menschen, die keine Intensivpflege brauchen, diese dennoch erhalten. Doch der Haken ist, dass diese Regelung auch Menschen trifft, die wie ich eine unheilbare Erkrankung haben. Für mich bedeutet das, dass ich alle paar Monate Nachweise einreichen muss, um meine Beatmungspflichtigkeit zu beweisen. Als ob ALS plötzlich verschwinden könnte.
Die Realität hinter den Zahlen
Die Zahlen sind erschreckend. Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation kann bei neurologischen Erkrankungen wie ALS eine dauerhafte Beatmung erforderlich sein. Das sollte eigentlich reichen, um die ständigen Prüfungen obsolet zu machen. Doch die Realität sieht anders aus. Statt sich auf medizinisch fundierte Diagnosen zu verlassen, scheint der Fokus des Systems auf Kostensenkung zu liegen.
Wie viel kostet es eigentlich, dass der MD immer wieder solche Prüfungen durchführt? Und wie viel kostet es an Lebensqualität, wenn schwerkranke Menschen wie ich gezwungen werden, sich wieder und wieder zu rechtfertigen?
Das unendliche Hamsterrad
Heute habe ich meine Logopädin Sabrina angeschrieben. Ich brauche mal wieder einen Bericht von ihr, um den MD zu befriedigen. Der Bericht gehört zu einem Wust an Unterlagen, die ich einreichen muss: Pflegeberichte, Vitalzeichenprotokolle, Absaugprotokolle, Weaning-Protokolle, Medikamentenpläne. Jeder Bericht, jede Tabelle, jede Zahl ist eine weitere Erinnerung daran, dass ich in den Augen des Systems kein Mensch, sondern eine Kostenstelle bin.
Ich frage mich: Wo bleibt die Menschlichkeit? Ich bin ein Mensch, der beatmet werden muss, um zu leben. Ich bin keine Statistik, kein Fall, kein Punkt auf einer Liste. Und ich bin schon gar kein potenzieller Betrüger.
Mein Leben gehört mir – nicht der Krankenkasse
Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass unser Gesundheitssystem auf Effizienz und Kosteneinsparung ausgelegt ist. Aber wo ist die Grenze? Es ist entwürdigend, sich immer wieder dafür rechtfertigen zu müssen, dass man lebt. Ich habe nicht darum gebeten, ALS zu bekommen. Und ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich noch hier bin – auch wenn ich damit für die Krankenkasse Kosten verursache.
IPReG und RiSG mögen auf dem Papier gute Absichten verfolgen, doch in der Realität tragen sie dazu bei, dass Menschen wie ich ständig kämpfen müssen. Ich werde weiterkämpfen – für mich, für alle anderen Betroffenen, und für ein System, das mehr Menschlichkeit und weniger Bürokratie braucht.