Gastbeitrag von Yvonne Butter
Für alle die mich noch nicht kennen oder mich kennen oder mich wohl irgendwie kennen…. und warum ich mich dazu entschlossen habe, Angehörige von intensivpflichtigen Menschen, die zuhause versorgt werden online zu unterstützen… ?
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Ich bin vor über 40 Jahren auf diesen wundervollen Planeten gekommen…. Bis ich 30 Jahre war, verlief mein Leben recht „normal“. Ausbildung, Weiterbildung, Urlaub hier und Urlaub dort… 6 Wochen Jakobsweg, sonst keine Besonderheiten…. Was nicht schlecht ist…. vielleicht…., jedoch auch nicht besonders spannend… Was ja auch nicht so schlecht ist….Für den ein oder anderen zumindest
Wir schreiben das Jahr 2014. Ich habe endlich meine Fachweiterbildung zur Fach-Gesundheits-und Krankenpflegerin für Intensivpflege absolviert. 2 Jahre lang, hat mich unsere liebe Praxisanleitung Irmgard gequält (tut mir leid Irmgard, es war zum Teil wirklich sehr nervenaufreibend )…
Es kamen die Monate Juli/August 2014. Ein junger Mann, 39 Jahre alt, mit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) lag bei uns auf Intensivstation. Mit einer Maske kontinuierlich beatmet bei Lungenentzündung. Nach Tagen an der Maske, Gespräch mit unserem ehemaligen Oberarzt (Florian, du warst einer der besten Intensivmediziner mit denen ich arbeiten durfte!), die Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) wurde angeraten…. Ich habe diesen jungen Mann zur Tracheotomie in den OP gefahren und später abgeholt… Kurze Zeit später änderte sich alles für mich….
Als er nach Hause verlegt wurde, lernten wir uns richtig kennen und verliebten uns ineinander. Jap! Richtig gehört! Ich habe mich in einen, bereits pflegebedürftigen, beatmeten Menschen verliebt dessen Stimme ich noch nie live gehört habe, da er sich nur noch mit Sprachcomputer unterhalten konnte und mit aller Wahrscheinlichkeit in den nächsten Monaten/Jahren sterben wird… Ist das bekloppt?? Ja, irgendwie schon! Aber so ist das Leben manchmal…
Als wir uns kennenlernten, plante ich bereits zuvor eine Auszeit für 2015…. Ein halbes Jahr Australien war geplant… mit der lieben Karin Kemp
Die ersten Monate Beziehung waren wunderschön, trotz allem was im Weg stand… Und dann, kurz vor der Reise nach Australien, kündigte der Intensivpflegedienst… Sorgen und Probleme zerrissen uns. Der nächste Dienst stand unmittelbar vor Abreise in seiner Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt hat er „alleine“ gewohnt, in einer separaten Wohnung, Familienangehörige wohnten im selben Haus. ?
Die Abreise…. Mein schlechtes Gewissen war bereits ein paar Monate zuvor immer wieder da. Doch er hat mir immer wieder zu verstehen gegeben „mach das“, „es ist ein Traum von dir“ „ich warte auf dich und danach ziehen wir zusammen“… Auch konnte und wollte ich Karin nicht hängen lassen, die sich mindestens genauso auf Australien freute wie ich es tat, von den ganzen Problemen mal abgesehen…
Am Flughafen…. Er hat mir einen Brief mitgegeben, den ich erst im Flugzeug aufmachen sollte!!! Gepäck eingecheckt… Und dann kam die Nachricht…. „Ich muss ins Krankenhaus, der neue Intensivpflegedienst kann mich nicht weiter versorgen“….“Bitte mach den Brief erst im Flieger auf“ „Alles wird gut“… Sofort nahm ich Kontakt zu „meiner“ Intensivstation auf und er bekam ein Bett dort. Was eine Situation, Angst und Wut wechselten sich ab. Ich sah in Karin’s Augen, die, so glaube ich, ebenfalls Angst hatte… Ich stand zwischen den Stühlen wollte einerseits zurück und andererseits Karin nicht im Stich lassen. Im Flieger öffnete ich dann den Brief……
Um die 3 Wochen habe ich es in Australien „ausgehalten“, mit den Gedanken war ich ständig zuhause… Ich wurde immer informiert wie es ihm geht. Als dann die Verlegung geplant war, weil eben irgendwann kein Grund mehr für den Intensivaufenthalt bestand und er in ein Altenheim „mit Beatmungsplatz“ verlegt werden sollte, weil ihn noch kein anderer Intensivpflegedienst nehmen konnte, bin ich fast ausgeflippt. Ticket gebucht und Karin „hängen gelassen“. Es tut mir immer noch leid
Im Altenheim war er dann genau einen halben Tag. Unser Provider wollte eine Geräteeinweisung dort durchführen… Zwei Stunden gewartet, niemand kam, keine Pflegekräfte, der Heimleiter sagte immer „das ist alles kein Problem mit der Beatmung“…. Ein altes Absauggerät wurde gebracht… Das wohl dem Anschein nach, auch keiner so richtig bedienen konnte… Das Fußteil des Bettes ging nicht hochzufahren, dass war aber notwendig damit er seine Klingel (die immer am Fuß lag) mit dem Fuß bedienen kann… „Wie soll ich mich denn so melden“? Er war sonst vollständig gelähmt…. „Das sehen wir dann an der Sauerstoffsättigung, wenn die unter 92% ist, geht der Pieper los“….. Daraufhin folgten Angst und Panik. Silke und Helmut, ihr wart dabei….zum Glück…. Fakt war, er konnte und wollte dort nicht bleiben… Unser Provider sagte, es gibt da noch eine Lösung… Rettungsdienst anrufen… Gesagt, getan und er kam auf die nächste Intensivstation. Einige Zeit später, kam ich dann zur Tür rein auf der Intensivstation und er musste weinen, er wollte nie „meinen Traum zerstören“ sagte er (und tat es auch nicht) und dennoch war er überglücklich mich zu sehen und ich natürlich auch. Die wunderbare Oberärztin dieser Station sagte „sie kommen erst nach Hause wenn ein Intensivpflegedienst organisiert ist, solange bleiben sie hier, mir fällt schon was ein“…. Danke, das es solche Menschen gibt….
Dann zuhause, ging es weiter…. kräftezehrende, emotionale, wunderschöne, traurige und lustige Momente folgten…. Dazu in Teil 2 irgendwann mehr….
P.S. Ich bitte euch nicht um eure Meinung ob ihr geflogen wärt oder nicht oder ob ihr sowas überhaupt machen würdet, wenn ihr einen „totkranken“ Partner kennengelernt hättet. Das war ganz alleine meine/unsere Situation, meine Entscheidung und ich teile sie, damit ihr mich einwenig kennenlernt. Ohne Diskussionen…