Quizfrage: Was passiert, wenn sich ein Intensivpfleger unwohl fühlt und sich bei seinem häuslich gepflegten Beatmungspatienten positiv testet?
- Es wird sofort Ersatz geschickt.
- Es wird erst am nächsten Tag Ersatz geschickt.
- Der Pfleger arbeitet die nächsten Tage durch, bis er wieder gesund ist.
Natürlich kennst du die Antwort. Ich hätte die Frage nicht gestellt und implizit eine Antwort genannt, die so hirnverbrannt klingt, dass sie nur wahr sein kann. Soll heißen ja, ich mache gerade die nächste Erfahrung der anderen Art mit meinem Pflegedienst durch.
Was war passiert? Nun, das ist schnell erzählt. Einer meiner Pfleger war schon ein paar Tage krank und war eigentlich krankgeschrieben. Das war schon länger bekannt. Aber so gut, wie mein Pflegedienst organisiert ist, interessierte das offenbar niemanden mit entsprechender Verantwortung. Meine Teamleiterin hat Urlaub und hält sich aus allem raus, was ja dem Grunde nach richtig ist. Eine Vertretung gibt es aber dummerweise nicht. Die Pflegedienstleitung (PDL) schickt indes einfach krankgeschriebene Mitarbeiter zum Patienten und wiegt sich in Sicherheit, diesen verantwortungsvollen Job mustergültig erledigt zu haben. Mit der Geschäftsführung habe ich diesbezüglich telefoniert und da fehlen mir dann endgültig die Worte. Seit Februar gäbe es keine gesetzlichen Corona Regelungen mehr. Keine Testpflicht, keine Maskenpflicht, keine Quarantäne. Wie so oft in letzter Zeit würde ich mich irren. Ein Covid infizierter Pfleger dürfe sogar bei einem Hochrisikopatienten wie mir arbeiten. Wenn mir das nicht passt, wisse ich ja, was die Alternative sei. Und darauf hätte ich bestimmt keine Lust.
Die Alternative, tja. Immer die gleiche Leier. Ich könne ja ins Krankenhaus. Oder in eine WG. Oder vielleicht war auch gemeint, dass man mir die Versorgung kündigt. Ich habe nicht nachgefragt, denn nur aus Angst vor einer Kündigung habe ich doch gerade erst jede meiner Meinung nach mehr als berechtigte Diskussion vermieden und ohne zu Mucken 7.000,- € an meinen Pflegedienst abgedrückt. Sogar Zeiten gezahlt, wo ich einen Tag auf der Intensivstation lag und ganz sicher keiner von meinem Pflegedienst auch nur eine Minute bei mir war. Und Zeiten vor der Anreise. Und Zeiten am Samstag, an dem ich wieder zu Hause war und ich mir ziemlich sicher bin, dass diese Zeit von meiner Krankenkasse zu bezahlen wären, egal, wie man es dreht und wendet. Was mein Pflegedienst dazu sagt? „ich muss dir Leider sagen das du im Unrecht bist was deine Aufenthalt im Krankenhaus geht“ sagt der und erstickt jede Nachfrage im Keim. Das ist jetzt also der Dank dafür, dass ich meinem überlasteten Pflegedienst so viel Arbeit abgenommen habe, wie es mir möglich war. Gut zu wissen, woran ich bin.
Dabei hätte das Decken der Dienste – ohne Corona Fälle – so einfach sein können. Hätte man sich frühzeitig darum gekümmert, ich hätte genügend Leute gehabt, die ich hätte fragen können. Am Sonntag früh brauche ich aber nicht meine Freunde durchtelefonieren. Klar, die wenigen Intensivpfleger aus meinem Freundeskreis, die zufällig am heutigen Sonntag frei haben, die hocken grad alle wach vorm Handy und warten nur auf meinen Anruf.
Allerdings würde das natürlich voraussetzen, dass die Situation grundsätzlich einmal als Problem erkannt wird. Wenn aber die erste Aussage wie aus der Pistole geschossen kommt und lautet, man habe alle Dienste gedeckt, der Gesetzgeber sähe das genauso und die Alternative werde mir bestimmt nicht gefallen – dann sieht mein Pflegedienst ganz offensichtlich keinen Handlungsbedarf. Und überhaupt, was muss vorgefallen sein, dass mir mein eigener Pflegedienst mit Schreckensszenarien droht? Ohne Witz, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was ich falsch gemacht haben könnte. ALS Kranke sind per se nicht geliebt, weil es bei uns immer was zu tun gibt. Im Gegensatz zu Komapatienten, die sich nicht wehren können. Trotzdem, so ein Verhalten habe ich in über 25 Berufsjahren nicht erleben müssen. Schade, dass ich diese Erfahrung jetzt nachholen muss wo ich mich in einem Zustand befinde, in dem ich so einen kleinen Beitrag wie diesen hier nicht einmal mehr in weniger als 24 Stunden schaffe, zu veröffentlichen.
Ja, das Problem Corona ist nicht neu und auch bei vorherigen Pflegediensten gab es vereinzelt Corona Leugner. Was haben wir stundenlange Gespräche dazu geführt. Aber keiner, wirklich niemals wäre ein Pfleger auf die absurde Idee gekommen, infiziert zu mir zur Arbeit zu kommen. Dann müssen eben PDL und im worst case die Geschäftsführung einspringen. So hatte man es mir auch ursprünglich in Aussicht gestellt, als man meine Betreuung letztes Jahr übernommen hatte. Und anders kenne ich es auch nicht. Leider spielt das wohl heute keine Rolle mehr, was der Rest der Welt und ich für richtig halten. Hier zählen offenbar nur harte Fakten.
So wird mir klar, dass wir auf diesem Niveau nichts erreichen werden. Ich verfüge über keine tiefgehenden gerichtsbelastbaren Kenntnisse aus dem Infektionsschutzgesetz. Was ich sicher weiß ist, dass es völliger Schwachsinn ist zu behaupte, es gäbe keine Corona-Regelungen mehr. Vor allem nicht vor drei Wochen schon. Aber wie die heute in Bayern aussehen, da muss ich leider selbst erstmal im Gesetz lesen.
Von meinen neu gewonnenen rechtlichen Erkenntnissen abgesehen ändert das alles natürlich rein gar nichts an der verwerflichen Einstellung meines Pflegedienstes. Ich konnte bisher nicht einen einzigen Menschen finden, der die Einstellung meines Pflegedienstes teilt. Also von der Führungsetage meines Pflegedienstes abgesehen, meine ich natürlich. Das Gegenteil ist der Fall. Die Reaktionen reichen von Fassungslosigkeit und ungläubigem Entsetzen bis zu Gefühlen, die man wohl allenfalls als Wut bezeichnen kann, um politisch korrekt zu bleiben.
Stichwort Politik. Da liegt noch ein weiterer Hund begraben. Möglicherweise sogar noch ein viel größerer. Hätte unsere Politik nicht so ein Chaos an länderspezifischen und teils wenig nachvollziehbaren Regelungen auf den Weg gebracht, gäbe es das Dilemma gar nicht. Es ist doch nichts Neues, dass Unternehmen jede noch so kleine Lücke im Gesetz zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Tut es mein Pflegedienst nicht, tut es ein anderer. Zwar hätte ich erwartet, dass man die Regel „wer Corona hat, kann trotzdem beim Hochrisikopatienten arbeiten“ (falls dem wirklich so sein sollte) genauso unverantwortlich findet wie ich und nicht auch noch fördert, aber das ist nochmal ein anderes Thema.
Die seit Anfang dieses Monats geltenden Vorschriften sind in der Tat lächerlich. Das fängt schon mit der grundsätzlichen Aussage an, dass man künftig auf mehr Eigenverantwortung setze. Ja nee, is klar. Ausgerechnet dort, wo es um Geld geht, genau dort werden die Menschen plötzlich eigenverantwortlich handeln. Das hat in der Vergangenheit ja auch schon so wunderbar funktioniert. LOL.
Sehen wir uns dennoch einmal etwas genauer an, ob außer der Eigenverantwortung wirklich nichts mehr geregelt ist wie man mir gegenüber behauptet.
Kurzum: Nein. Diese Aussage ist falsch.
Das lässt sich nicht beschönigen, das ist einfach nicht richtig. Es hat hier auch nichts zu tun mit einem möglicherweise in mir brodelndem Unmut. In der jüngsten Pressemeldung vom 31.01.2023 sagte unser Gesundheitsminister Klaus Holetschek:
„Derzeit gelten nach Bundesrecht noch mehrere Corona-Regelungen. Beispielsweise herrschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und für Patientinnen und Patienten sowie Besucherinnen und Besucher von Arztpraxen FFP2-Maskenpflichten sowie Testpflichten bei Besuchen von Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen und Pflegeeinrichtungen. Nach dem Infektionsschutzgesetz gelten diese Regelungen bis 7. April 2023.“
Das bringt es doch gut auf den Punkt, was auf Bundesebene geregelt ist und wie.
Im Falle eines positiven Tests gilt hier in Bayern außerdem die Allgemeinverfügung zu Schutzmaßnahmen bei positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Corona-Schutzmaßnahmen). Dieses Dokument wurde vor exakt drei Wochen erst auf der offiziellen Webseite der Bayerischen Staatskanzlei veröffentlicht und es ist keine neuere Version verfügbar. Ich würde also davon ausgehen, dass die hier genannten Vorschriften ebenfalls gelten. So steht es auch im Gesetzestext:
Ja, der Gesetzgeber spricht nur von festen Einrichtungen. Aber gehen wir doch mal mit einem kleinen bisschen gesundem Menschenverstand an die Sache ran. Wieso ausgerechnet Pflegedienste sich nicht an allgemein gültige Regelungen zu halten haben sollen, das erschließt sich mir besten Willen nicht.
In den Erläuterungen steht ja auch weiter:
Man könnte hier richtig schön in die Materie einsteigen. Hätte ich fast Lust drauf. Und dann als erster vors Bundesverfassungsgericht oder so. Das ist aber der völlig falsche Ansatz. Darüber überhaupt sprechen zu müssen ist schon falsch. Ich möchte keine Covid-kranken Pflegekräfte in meiner Wohnung haben und damit sollte das Thema eigentlich durch sein. Sogar meine in Spanien lebende Schwester hätte mich eigentlich gerade erst besuchen wollen. Ich sehe sie nur zwei-, vielleicht dreimal im Jahr. Ausgerechnet jetzt musste sie sich infizieren. Besuch abgesagt. Und der ebenfalls infizierte Pfleger kommt weiterhin zum Dienst. Was für eine schizophrene Logik.
Sehen andere Pflegedienste, mit denen ich immer wieder mal im Gespräch bin, übrigens genauso. Ob das nur leeres Gerede ist und die Praxis doch wieder anders aussieht sobald es ans Eingemachte geht? Man weiß es nicht. Wir werden sehen, was die Zukunft bringen wird.