Juhu! Der nächste Aufreger.
Liebes Tagebuch,
es wäre ja langweilig, wenn nichts Absurdes passieren würde. Ich führe dafür glatt eine neue Kategorie ein: Patricks Panoptikum.
Panoptikum, ein geiles Wort. Ein selten gebrauchtes Wort, aber einer meiner Lieblingsbegriffe. Viellecht sogar mein liebster, oder auch nicht, aber er ist es. Der Brockhaus sagt dazu:
Panoptikum [zu griechisch optikós „das Sehen betreffend“, eigentlich „Gesamtschau“] das, -s/…ken, Kuriositätensammlung, Wachsfigurenkabinett.
Ich finde das zutreffend. Einfach nur zu treffend. Es beschreibt so herrlich das Umfeld, in dem ich lebe. Eine Sammlung von Kuriositäten.
PflegerInnen, die sich erst an meinen Dingen vergreifen, als die leer waren von meinen Freunden klauen und sich jetzt mittlerweile gegenseitig das mitgebrachte Essen aus meinem Kühlschrank wegfuttern. PflegerInnen, deren hypochondrische Behauptungen darüber, was für gesundheitliche Probleme ich angeblich alles habe, so kalt an mir abprallten, dass sie meinen Hausarzt zum abendlichen Notfall zu mir nach Hause riefen. Und mit meinem Arzt eine Diskussion darüber versuchten, dass er sich irren würde. PflegerInnen, die meinen Arzt gleich am nächsten Tag erneut reinbestellten, weil die Diskussion noch nicht beendet sei. Doch, ist sie, er fahre jetzt nach Hause, weil die Familie warte mit dem Abendessen. Fremdschämen hoch drei, sag ich dazu nur. PflegerInnen, die einen sterilen Handschuh für steril halten, nachdem man damit ein Telefon in der Hand hatte. Auf den Boden gefallene Handschuhe wieder achtlos zurück in die Box legen fürs nächste Mal. Und solche, die eine ganz frisch gelegte PEG Wunde gleich ganz ohne Handschuhe versorgen und sich gleichzeitig darüber aufregen, wie unprofessionell man die Wundversorgung im Krankenhaus gemacht hätte. Es sei ja kein Wunder, dass ich mir da einen Keim eingefangen hatte, der dann nachdem ich schon lange zu Hause war plötzlich ausgebrochen ist. Wenn sich Pfleger nach dem Pissen wenigstens die Hände waschen würden…
Es gibt Ausnahmen, freilich. Aber es darf doch bitte nicht die Ausnahme sein, dass man sich die Hände wäscht, nachdem man auf dem WC war. Für mich wäre solch Verhalten ein Grund genug für eine fristlose Kündigung. PflegerInnen, die sich nach dem Pinkeln nicht die Hände waschen, ist das normal? Seid ihr sicher, dass ich hier derjenige mit den falschen Vorstellungen bin? Ja, genau das sagt mein Pflegedienst, komm ich gleich dazu. Muss ja irgendwie Spannung aufbauen hier.
Ach ja, ich könnte ewig und drei Tage darüber schreiben. Manch Vorfall ist aber auch zu lustig, als dass ich das für mich behalten könnte. Zumindest im Nachhinein. Andere Geschehnisse sind ziemlich heftig. Auch, wenn man heute daran zurück denkt.
Und wiederum andere, wir auch der heutige Vorfall, können lebensgefährlich enden. Was mich heute dazu veranlasst, zu schreiben, erklärt sich am schnellsten, wenn ich das Pferd ausnahmsweise von hinten aufzäume. Außerdem liest es sich so besser. Immer mitten in die Fresse rein.
Hallo XY,
danke für deine Antwort und die Erklärung.
Mir war nicht klar, dass ein Patient in meinem heutigen Gesundheitszustand mit 0% Spontanatmung dazu geeignet ist, die nötige Fachkenntnis erst zu erlernen.
Liebe Grüße
Patrick
Meine E-Mail an die Pflegedienstleitung
Ja, Himmel hilf. Die werden doch nicht etwa? Nein, also das geht doch nicht, die können doch nicht… Doch, können sie. Meinen sie jedenfalls.
Die Tage war einmal mehr ein neuer Mitarbeiter bei mir zur Einarbeitung. So hat man es mir zumindest gesagt. Und so hat man es dem Pfleger gesagt, der die Einarbeitung machen sollte. So dachte es der neue Pfleger auch. Und im Dienstplan für nächsten Monat steht er auch ganz normal drin. Dass die Firma heute nichts mehr davon wissen will – es wäre ja nur zum Schnuppern gewesen und er sei gar nicht für hier eingeplant worden – passt nur zu gut ins nur allzu trübe Gesamtbild.
Seis drum, wir jedenfalls gingen allzeit von einer Einarbeitung aus und mein wirklich engagierter Pfleger, der an dem Tag Dienst hatte, setzte alles daran, möglichst viel Wissen in viel zu wenig Zeit zu vermitteln. Die 2,5 Stunden, die angesetzt waren, erscheinen für meine Begriffe nach wie vor lächerlich und viel zu wenig. Die FührungsrIege meines Pflegedienstes kann sich auch die diesbezüglichen Rechtfertigungsversuche dazu, dass dies genügend Zeit ist, sparen. Denn ich bin der zahlende Kunde. Und der zahlende Kunde hat mit Vertragsschluss vereinbart, dass neue PflegerInnen mindestens einen Tagdienst und einen Nachtdienst in Begleitung eines bei mir erfahrenen Pflegers zur Einarbeitung machen. Das wurde aus guten Gründen so vereinbart und ich verstehe gar nicht was das soll, jetzt plötzlich wieder eine Grundsatzdiskussion führen zu wollen.
Der neue Mitarbeiter macht einen sehr unbedarften Eindruck, der sich schnell bestätigen sollte. Er ist sympathisch, freundlich, zurückhaltend. Was verständlich ist beim ersten Kennenlernen. Ehrlich gesagt ist mir das auch zehnmal lieber als die andere Sorte Bewerber, die behaupten, ach so viel Erfahrung zu haben und dann scheitern am Versuch, den Hustenautomaten in Gang zu setzen.
Aber…
Es gibt dann doch ein kleines „aber“. Ich schicke gleich vorweg, dass das, was ich hier gleich behaupten werde, nicht stimmt. Es beschreibt lediglich das, was ich während der Einarbeitung meine, gehört und gesehen zu haben. Wäre es nicht so gewesen, dann hätte ich das ja nicht gleich an die Geschäftsführung gemeldet. Und auch mein Pfleger hat das gleiche direkt nach dem Termin an meine Teamleitung geschickt. In seinen Worten – ich zitiere – „hmmmm… … …“. Es folgt eine Pause. Eine ziemlich lange Pause. Man kann förmlich in der Luft spüren, das er nach der politisch korrekten Formulierung sucht. Am Ende des Tages ist er schließlich Angestellter dieser Firma. „Nein, … einfach nein.“. Wie gesagt, das ist nur meine Sicht der Dinge. Die Quintessenz der Antwort hinsichtlich meiner Bedenken in Sachen 1:1 Intensivpflege eines 24/7 beatmungspflichtigen ALS Patienten lautet nach ausführlicher Erläuterung wie folgt:
…was somit der Null-Erfahrung-Theorie wiederspricht…
E-Mail der Pflegedienstleitung meines Pflegedienstes
So rede ich auch mit meinen Kunden, wenn die Bedenken haben. In meiner Arbeit geht es dabei „nur“ um juristische Fragen, aber das Prinzip ist das gleiche. Ich sag denen auch immer, dass ich beweisen kann, dass die sich irren. Genau in diesem Tonfall:
…und somit ein Beweis, dass wenn das Basiswissen vorhanden ist, der Mitarbeiter motiviert zu lernen ist, auch dies möglich ist.
aus selbiger E-Mail der Pflegedienstleitung
Ist ja schon gut. Nichts für ungut. Ich hab ja nur sagen wollen, dass während der Einarbeitung Sätze gefallen sind wie „Ich kann dir nicht erklären, wie eine Beatmung funktioniert, wenn du die Ausbildung nicht hast. Ich glaube, das darf ich auch gar nicht.“.
Ich tue mich schwer zu vermitteln, was in mir vorgeht, wenn ich solche Antworten auf meine geäußerten Sorgen lesen muss. Vor nicht einmal zwei Wochen hatte ich die letzte nächtliche Panikattacke, weil ein Pfleger mit meiner Maske Scheiße gebaut und es nicht gerafft hat. Wissenschaftlich messbares Resultat: Puls ist 24 Stunden jenseits der 130 und beruhigt sich selbst nach Gabe von Tavor Expedit nur um sage und schreibe zehn Zähler auf 120.
Angesichts dessen äußere ich meine Bedenken. Man könnte auch sagen, zwischen den Zeilen steht geschrieben hey, euer Patient hat Angst um sein Leben, falls ihr mir für die Nacht einen Pfleger schickt, der noch nie einen heimbeatmeten Patienten hatte und noch nicht einmal an einem Beatmungskurs teilgenommen hat, um wenigstens die rudimentären Grundlagen einer Beatmung kennengelernt zu haben. Ich mein, er wird doch auch seine Gründe dafür haben, dass er nach Demonstration des Maskenwechsels – nach nur 90 Minuten insgesamt bei mir – wieder gegangen ist und die Maske nicht einmal in die Hand genommen hat. Den Maskenwechsel wollte er ebenso wenig ausprobieren wie husten und absaugen.
Natürlich erwarte ich da als Reaktion eine rechtsbelehrende Stellungnahme, die endet mit dem Beweis, dass ich Unrecht habe. Oder vielleicht erwarte ich es auch nicht. Nein, ich erwarte viel, aber das nicht.
Die vollständige Antwort war noch länger, aber das macht es nicht besser. Einen zynischen Zweizeiler kann ich mir dieses Mal nicht verkneifen. Oder vielleicht doch? Ja, ich kann. Ich will aber nicht. Zwinkersmiley. Und weil du es weiter oben vermutlich nicht so wirklich geglaubt hast, und weils so schön ist, gleich nochmal:
Hallo XY,
danke für deine Antwort und die Erklärung.
Mir war nicht klar, dass ein Patient in meinem heutigen Gesundheitszustand mit 0% Spontanatmung dazu geeignet ist, die nötige Fachkenntnis erst zu erlernen.
Liebe Grüße
Patrick
Meine E-Mail an die Pflegedienstleitung