Tea or not to tea.

Liebes Tagebuch,

es ist eigentlich schon eine Ironie des Schicksals. Ich habe früher nie ein Problem gehabt, beispielsweise beim Sport oder beim Feiern zwischen 15 Gin Tonic noch zwei Flaschen Wasser zu trinken. Oder auf der Wiesn. Wenn ich mich erinnere, dass ich in den besten Zeiten mal zehn Maß getrunken hab, heute undenkbar. Heute wären das glatt 20% meines Körpergewichts. LOL.

Mein Pflegedienst wäre aber nicht mein Pflegedienst, wenn er nicht auch dieses wunderbar funktionierende Konzept über den Haufen werfen würde.

Wieso, fragst du?

Ich habe da meine ganz eigene Theorie. Gesteigertes – unterbewusstes – Geltungsbedürfnis. Ein ALS Patient ist dafür das perfekte Medium. Dem kann man nämlich nicht effektiv helfen. Es gibt keine Therapie, kein Medikament und auch keine in Aussicht zu stellende Hoffnung auf etwaige Änderung dessen. Also wird man, anders ausgedrückt, niemals „fertig“ werden in der Pflege. Es wird immer etwas geben, woran man arbeiten kann. Es verbessern, obwohl es nichts zu verbessern gibt. Des Patienten Wille ist dabei zweitrangig. Lenken solch „Dauerbaustellen“ wie ich doch so schön von den eigenen persönlichen Problemen ab.

Zu gehässig bin ich?

Mag sein.

Und damit kann ich gut leben.

Auf jeden Fall kann ich damit besser leben als mit zwei Litern Tee, wie sich herausgestellt hat.

Ich bin diese ständigen Diskussionen mit einzelnen PflegerInnen so unendlich leid, in den vergangenen Wochen habe ich zu allem nur noch ja und amen gesagt. Die sann sich ja nicht einmal untereinander einig. Was soll ich da noch meinen Senf dazugeben? Hält sich ja eh koaner dran, wenn ich was sag. Die PEG ist das beste Beispiel. Die wird laufend umprogrammiert. Den einen sind meine gut eingestellten 160 ml/h zu langsam und es wird mit über die eigenen Kollegen lästerndem Kommentar auf 200 ml/h gestellt.

Der nächste ändert es wieder auf 160 und fragt mich, warum es nichts dazu in der Doku gibt. LOL. Als ob ich wüsste, wieso keiner von euch ordentlich dokumentiert. Vielleicht würde ein verbindlicher Dokumentationsstandard helfen. Bei dem Tohuwabohu, das ihr Doku nennt, da wundert mich gar nichts. Es wird ja nicht einmal eingetragen, wann ich welches Abführmittel bekommen habe und wie viel. Bekommt der Patient halt mal die dreifache Menge. Sein Magen explodiert zwar fast, aber das vertuschen wir, indem wir bei jeder Gelegenheit und Nicht-Gelegenheit blöde Witze reißen und als einziger im Raum darüber lachen. Nach dem Motto, die Übergabe zu beginnen mit den Worten „Patrick will heute wieder zwei Movicol haben. Hahaha…“. Nee, das ist halt einfach nicht lustig.

Nächster Pfleger, neues Glück. Da machen wir dann täglich Cranberry Saft für Unsummen an Kohle rein. Das ist besser für deine Blase.

Next. Kippen wir doch einfach alles rein was wir irgendwo finden können. Wie diese Vitamin B Tabletten, die mir eine Heilpraktikerin verordnet und mich damit vergiftet hat. So sagen es die Blutwerte, mit denen meine Neurologin vom Friedrich-Baur-Institut (FBI) etwas erschrocken auf mich zukam. Wie man als ausgebildete Pflegekraft auf die Idee kommen kann, eigenständig, ohne Rücksprache und sogar ohne es zu dokumentieren, meine Medikation zu ändern und wochenlang auch so zu verabreichen, das ist mir schleierhaft.

Und dann kommt zu allem Überfluss auch noch die neunmalkluge Pflebeauftragte mit ihrem Mumpitz daher. Abgesehen davon, dass ich sie unhöflich und ignorant finde – das ist nur mein persönliches Problem – habe ich die eh gefressen spätestens seit sie versucht hat, mich zu konvertieren und einzusehen, dass ein Leben im Bett keine Lebensqualität habe. Ihren Beruf hat sie mal ganz klar verfehlt, so jemanden lässt man nicht auf wehrlose Patienten los. Aber das ist ein Thema für sich. Wie dem auch sei, sie sorge sich natürlich nach wie vor sehr um meinen Zustand. Denn mit ALS Patienten kenne sie sich besser aus als… ja offensichtlich sogar besser als ich. Magenprobleme habe ich also? Da muss ich einfach mal zwei Liter Kümmel Tee am Tag über die PEG Pumpe nehmen. Fenchel ginge möglicherweise auch, zur Not, bis ich was besorgt habe, muss ein Kamille Kräutertee herhalten. Gesagt, getan. Für einen guten dreistelligen Betrag Tee bestellt.

Wenn die Sache halt keinen Haken hätte. Einen gravierenden, leider.

Seit ich nicht mehr auf meinen Körper höre, sondern esse und trinke was und wann meine Pfleger sagen, geht es mir ziemlich scheiße.

Nicht nur, weil mir wieder ein Stückchen Selbstständigkeit geraubt, von der ich ja sowieso kaum noch etwas übrig habe. Jemand, der angeblich sooo viel Erfahrung mit ALS Patienten hat wie die Pflegebeauftragte, die muss wissen, wie psychisch belastend es für ALSler ist, immer weiter entmündigt zu werden.

Auch, und das ist keine Übertreibung, geht es mir körperlich schlecht. Seit Monaten habe ich quasi täglich immer wieder mal Bauchschmerzen, Blähungen, mitunter Krämpfe im Bauchbereich. Und zwar so häufig und so heftig, dass weder Sab Simplex noch Novalgin oder Buscopan Linderung bewirken. Jeden Tag deswegen Morphium zu nehmen kann aber auch nicht die Lösung sein. Und dass ich deshalb sogar mal vom Notfallarzt direkt mit Krankenwagen nach Großhadern in die Notaufnahme geschickt wurde, das auch nicht.

Wenn mir einfach nichts mehr einfällt ist es hin und wieder hilfreich, ein paar Schritte zurück zu gehen zu einer Zeit, wo ich solche Probleme noch nicht einmal kannte. Und dann überlegen wir uns, was seitdem geändert wurde. Ob nun dokumentiert oder auch nicht.

In diesem Fall ist das ja auch ziemlich einfach. Wir streichen alles, was meine PflegerInnen behaupten, was ich „brauche“ und was ich „muss“. Und ersetzen es durch eine banale Regel, die lautet „Hör auf deinen Körper.“. Krass, oder? Zwinkersmiley.

Konkret heißt das:

  1. Keine 2 Liter zwangsweise über PEG druckbetanken, sondern nur bei Bedarf und Muße.
  2. Kein widerlicher Kümmel Tee und Konsorten mehr. Tatsächlich gar kein Tee sondern Leitungswasser.
  3. Rote Beete Saft ist ersatzlos gestrichen.
  4. Cranberry Saft ist ersatzlos gestrichen.
  5. Wenn ich Bock auf 10 Kaffee am Tag habe, dann trinke ich eben 10 Kaffee.
  6. Keine Nahrungen geben, wenn ich weder Hunger noch Appetit habe.
  7. Auf die in meinem Kalender vermerkten Medikamente achten, insbesondere endlich an den Plan zum Abführen halten. Wenn mir noch einmal jemand die doppelte oder gar dreifache Dosis Abführmittel reinpumpt, heuere ich eigenständig Leute im Darknet an, um die Pflegekraft vom Balkon zu schmeißen. Und dann lache ich zur Abwechslung mal so unangebracht, wie es meine PflegerInnen nur allzu oft tun. Ha. Ha.

Und schon finde ich ein unerwartet schnelles Ende für diese Überlegungen. Denn was soll ich sagen? Vor einer Woche etwa habe ich das so ausprobiert. Seitdem hatte ich nicht einen einzigen Bauchkrampf mehr, ich habe keine Übelkeit und kein Unwohlsein mehr. Mein Stuhlgang funktioniert regelmäßig und tadellos. Will man mehr?