Im Gespräch mit meiner Schwester. Das erste Vergangenheitsinterview, aufgezeichnet am Sonntag, den 10. November 2024.

Katrin: Patrick, ich finde deine Verknüpfung zwischen japanischem Walfang und der deutschen Milchindustrie echt spannend. Wie kommst du darauf, die beiden Themen zu verbinden?

Patrick: Ja, das klingt erstmal weit hergeholt, aber beide sind wirklich gute Beispiele dafür, wie Lobbyarbeit die Ausbeutung der Natur und das Tierleid aufrechterhält. Beim japanischen Walfang subventioniert die Regierung den Fang von Walen1Whaling in Japan, Whaling in Japan facts, Stand: 14.11.2024, https://us.whales.org/our-goals/stop-whaling/whaling-in-japan/ und sorgt dafür, dass das Fleisch durch kostenlose Verkostungen wieder populär wird2Kyoko Hasegawa, Japan shows first commercial fin whale catch in 48 years, 11.9.2024, https://www.japantimes.co.jp/news/2024/09/11/japan/commercial-fin-whale-catch/. Das ist Lobbyarbeit in Aktion! Ähnlich läuft es in Deutschland mit der Milchindustrie3Sascha Müller-Kraenner, Deutsche Umwelthilfe zum Zukunftsbericht der EU-Landwirtschaft: „Klimaschädliche und pauschale Subventionen für Fleisch- und Milchindustrie stoppen“, Pressemitteilung vom 4.9.2024, https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/deutsche-umwelthilfe-zum-zukunftsbericht-der-eu-landwirtschaft-klimaschaedliche-und-pauschale-subve/.

Katrin: Das mit den kostenlosen Verkostungen klingt unglaublich! Warum macht Japan das?

Patrick: Genau das habe ich mich auch gefragt. Die japanische Regierung hat ein Interesse daran, den Walfang am Leben zu halten4International Fund for Animal Welfare, Japans Walfang nicht legal: über 100.000 Unterschriften an japanische Botschaften weltweit übergeben, 20.9.2024, https://www.ifaw.org/de/press-releases/japan-walfang-petition-uebergeben. Es gibt eine starke Walfanglobby, und diese arbeitet hart daran, dass Walfleisch als Teil der Kultur und Tradition dargestellt wird5Astrid Fuchs, Kame-Kujira-Neko, Der Einfluss der japanischen Walfanglobby, 21. Juli 2017, https://de.whales.org/2017/07/21/der-einfluss-der-japanischen-walfanglobby/, auch wenn der Markt längst gesättigt ist. Mittlerweile geht man sogar in Schulen und Kitas, um Kinder und Eltern von Klein auf zu überzeugen, dass Walfleisch wichtig ist für Japans traditionelle Esskultur6Katrin Matthes, Die „Schule des Wal-Essens“: Japans Strategie, den Appetit auf Walfleisch zu steigern, 1.12.2023, https://de.whales.org/2022/12/01/die-schule-des-wal-essens-japans-strategie-den-appetit-auf-walfleisch-zu-steigern/ und zwingt Schulkinder zum Verzehr von Walfleisch durch das entsprechende Angebot in Schulkantinen7Astrid Fuchs, Kame-Kujira-Neko, Der Einfluss der japanischen Walfanglobby, 21. Juli 2017, https://de.whales.org/2017/07/21/der-einfluss-der-japanischen-walfanglobby/. Japan ist nicht das einzige Land, das mit Biegen und Brechen versucht, den kommerziellen Walfang am Laufen zu halten. In Island und Norwegen ist das ganz ähnlich8Jane J. Lee, Japan Halts Whaling Program in Response to International Court Ruling, 2.4.2014, https://www.nationalgeographic.com/history/article/140331-whaling-japan-international-court-ocean-animal-conservation 9 Michael Nieberg, Walfleisch aus dem Norden:Warum Walfang in Europa noch betrieben wird, 13.10.24, https://www.zdf.de/nachrichten/wissen/walfang-walfleisch-norwegen-island-100.html.

Katrin: Und wie würdest du die Verbindung zur deutschen Milchindustrie beschreiben?

Patrick: Ähnlich wie beim Walfang ist die deutsche Milchindustrie auf massive Subventionen angewiesen, um wirtschaftlich zu funktionieren. Die Subventionen sind so hoch, dass deutsche Unternehmen Milchpulver billig nach Afrika und China exportieren können10Marcus Rohwetter, Milchpreis: Es gibt eben zu viel Milch!, ZEIT ONLINE, 30.5.2016, https://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/milchgipfel-soforthilfe-bauern-subvention-milchkrise-kommentar. Es ist für einige Länder sogar billiger, unser subventioniertes Milchpulver zu kaufen, als ihre eigene Produktion zu unterstützen. Da kommt mir immer der Gedanke: Was für eine verkehrte Welt!

Katrin: Also wäre das im Grunde auch ein Beispiel für eine künstliche Nachfrage?

Patrick: Ganz genau. Wir haben eine Überproduktion, die wir nur durch Subventionen und politische Unterstützung am Leben erhalten können, genauso wie Japan es mit dem Walfang macht. Die staatliche Förderung von Milch in der Schule, pfandfreie Plastikverpackungen wenn Milchprodukte drin sind, ermäßigter Steuersatz auf Milchprodukte von Tieren gegenüber pflanzlichen Alternativen, die staatliche Bezuschussung von Milch Werbung und nicht zuletzt teils bis zu 50% Subventionen für Milchbauern und so weiter und so fort sind doch im Grunde nichts anderes11Kilian Dreißig, 9 krasse Beispiele: So wird Kuhmilch vom Staat bevorzugt, Vegpool Magazin, 1.11.2024, https://vegpool.de/magazin/kuhmilch-bevorzugung-staat-beispiele.html 12Silvia Liebrich, Daniela Kuhr, Rolle rückwärts der EU, Süddeutsche Zeitung, 17.5.2010, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/milch-subventionen-fuer-bauern-rolle-rueckwaerts-der-eu-1.482596 13 Reaktion auf Zusatzzölle – China prüft Subventionen von EU-Milchprodukten, tagesschau, 21.8.2024, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/china-eu-milchprodukte-100.html 14Josef Koch, Handelsstreit China: 20 EU-Subventionen bei Milchexporten im Visier, 23.8.2024, https://www.wochenblatt-dlv.de/politik/handelsstreit-china-20-eu-subventionen-milchexporten-visier-577951. In beiden Fällen leidet die Natur darunter, und das Tierwohl wird komplett ignoriert, weil es finanziell „sinnvoller“ ist, die Ausbeutung fortzusetzen, statt nachhaltige Alternativen zu fördern.

Katrin: Wahnsinn, das könnte ja ein ganzes Podcast-Thema sein! Hast du mal darüber nachgedacht, einen Podcast zu starten?

Patrick: Ja, das wäre echt interessant. Ich bräuchte jemanden, der Userfragen stellt oder moderiert, weil ich dazu neigen würde, einfach drauflos zu labern und von einem Thema ins nächste zu springen. lacht Wenn ich mir dann noch Zeit nehmen würde, zu recherchieren und die Hintergründe ausführlich zu erklären, wäre das bestimmt spannend.

Katrin: Und würdest du dann auch neue Informationen einfließen lassen, die vielleicht noch nicht in deinem Blog stehen?

Patrick: Absolut! Ich denke, das wäre eine gute Gelegenheit, um tiefer in Themen einzutauchen, wie zum Beispiel die strukturellen Parallelen in der Ausbeutung von Naturressourcen in verschiedenen Branchen. Es wäre auch spannend, zu besprechen, wie künstliche Intelligenz im Podcast-Format funktionieren könnte. Da ich durch meine Erkrankung an ALS ziemlich limitiert bin in Hinblick auf Sprache, das Tippen mit den Fingern oder ganz allgemein Motorik15Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V., https://www.dgm.org/muskelerkrankungen/amyotrophe-lateralsklerose-als, wäre ein Blick auf die aktuelle Entwicklung der KI sicher lohnenswert.

Katrin: Apropos künstliche Intelligenz – wie siehst du eigentlich die Entwicklung von KI? Gerade mit Blick auf Sprachmodelle, die ja nur auf Wortvorhersage basieren.

Patrick: Das ist ein interessanter Punkt. Die Bezeichnung „Künstliche Intelligenz“ ist eigentlich irreführend, finde ich. KI arbeitet nicht mit Intelligenz im menschlichen Sinne, sondern nur mit riesigen Datenbanken und Wortvorhersagen16Wissenschaftliches Recherchieren mit KI-Tools, Universitätsbibliothek, Ruhr-Universität Bochum, https://www.ub.ruhr-uni-bochum.de/recherchieren/rechercheleitfaden/wissenschaftliches-recherchieren-mit-ki-tools. Die Plattformen haben beeindruckende Wissensmengen gespeichert, aber es geht am Ende nur darum, vorherzusagen, was die „richtigen“ Worte sind.

Katrin: Stimmt, das ist ein spannender Gedanke. Viele denken bei „Intelligenz“ an eine Art Bewusstsein oder Denkfähigkeit, aber das passt bei KI eigentlich nicht.

Patrick: Genau. Bei „Intelligenz“ denken viele an Kreativität und Problemlösung. Aber bei KI geht es um nichts anderes als Algorithmen, die auf Basis großer Datenmengen Wahrscheinlichkeiten berechnen17KI für Zeitreihendaten – Entschlüsselung komplexer Muster und Strukturen in Daten, Fraunhofer EMFT, https://www.emft.fraunhofer.de/de/kompetenzen/systemloesungen-ki/ki-algorithmen-zeitreihenanalyse.html. Die wortwörtliche Übersetzung von „artificial Intelligence“ auf deutsch im eigentlichen Sinne „künstliches Wissen“. Im Prinzip ist KI wie eine weiterentwickelte Form der alten T9-Tastatur, nur dass wir jetzt viel mehr Daten und schnellere Systeme haben.

Katrin: Verstehst du das als „Wissensmaschine“?

Patrick: Ja, genau. Es ist mehr eine Wissensdatenbank als eine „intelligente“ Maschine. Wenn ich wirklich gute Antworten brauche, kann ich die KI „überlisten“, indem ich sage, dass ihre Antwort die Grundlage für eine Doktorarbeit ist. Dann bekomme ich oft detailliertere und strukturierte Antworten, weil der Algorithmus in der Datenbank erkennt, wie ernst eine solche Anfrage ist.

Katrin: Faszinierend! Und glaubst du, dass viele Menschen wissen, wie KI tatsächlich funktioniert?

Patrick: Wahrscheinlich nicht. Aber ich denke, das Bewusstsein dafür wird wachsen. Es ist wichtig, dass Menschen wissen, wie KI antwortet und dass es dabei nur um Daten und Wortvorhersagen geht – nicht um echte Intelligenz oder eine „Aura“ der KI, wie manche das manchmal empfinden.

Katrin: Zum Abschluss: Meinst du, die Philosophie wird irgendwann Antworten auf diese Fragen finden?

Patrick: Vielleicht. Das ist schon ein sehr philosophisches Thema – wie wir Intelligenz definieren und ob uns eine Maschine „verstehen“ kann. Aber so lange wir in Bereichen wie dem Walfang und der Milchindustrie nicht nachhaltiger werden, gibt es wahrscheinlich noch wichtigere Fragen zu beantworten.


Hintergrund zu diesem Format und wie die Idee entstand findest du in diesem Beitrag hier: Das Vergangenheitsinterview Experiment18Patrick Ruppelt, Wo Sinne und Verstand aufeinander treffen, 14.11.2024, https://paddys.de/das-vergangenheitsinterview-experiment/


Quellenverzeichnis