Als wir kürzlich eine Polit-Talkshow im Ersten sahen fiel die Frage, was die Schuldenbremse eigentlich ist.
Die Sonntagsfrage. Im Gespräch mit einem meiner Pfleger. Das fünfte Vergangenheitsinterview, aufgezeichnet am Mittwoch, den 15. Januar 2025. Rechtschreibung korrigiert, davon abgesehen unverändert. Habe Nachsicht, das habe ich an einem Stück frei aus dem Kopf geschrieben.


Krass, wie unterschiedlich die Meinungen sind. Ich hätte gedacht, wer zu so einer Talkshow geht, hat sich über Politik informiert.
Es ist zwanzig Jahre her, dass ich eine Makroökonomie-Prüfung an der Uni geschrieben habe, aber selbst da habe ich gelernt, dass die Schuldenbremse falsch ist und Deutschland nur wachsen kann, wenn der Staat Schulden macht.
Unglaublich, was unsere Finanzminister für Pfeifen sind.
Die Schuldenbremse ist ein Konstrukt, das sich die deutsche Politik selbst auferlegt hat, um zu verhindern, dass sich der Staat zu sehr verschuldet.
Ganz stark vereinfacht darf der Staat für strukturelle Veränderungen, wie das Reparieren von Brücken, nur 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Schulden machen. Also 0,35 % der Wirtschaftsleistung dürfen Schulden gemacht werden, und der Rest muss aus laufenden Steuereinnahmen finanziert werden.

Das hat zwei ganz große Probleme, die unsere Politik seit 1998 komplett ignoriert – und keiner tut etwas dagegen. Ich finde das total krass, weil du das ungefähr seit Anfang der 80er-Jahre im Ökonomie-Studium .


Die Logik der Bundesregierung ist, jedes Jahr Steuersenkungen zu versprechen, die nie gekommen sind. Sie gehen davon aus, dass durch irgendwelche dubiosen steuerlichen Reize die Wirtschaft wieder flott wird und dadurch die Steuereinnahmen des Staates steigen. Damit können dann die Zinsen von bestehenden Schulden getilgt werden.
Puh. Soweit verständlich?

Leider funktioniert das so nicht. Damit die Einnahmen der Wirtschaft wachsen, muss irgendjemand Schulden machen. Das ist keine Theorie, sondern Logik der Buchhaltung. Wenn du beim Bäcker eine Semmel kaufst, hat er Einnahmen, weil du Geld ausgegeben hast. Deine Ausgaben sind die Einnahmen des anderen. Damit die Wirtschaft Einnahmen bekommt, muss irgendwer Geld ausgeben.
Wenn die Leute Vollbeschäftigung haben und jeder genug verdient, um seine Familie zu ernähren, dann steigt der Konsum. Die Privathaushalte generieren Ausgaben, kaufen Handys auf Ratenzahlung, finanzieren Autos und Häuser. Durch ihre Ausgaben kann die Wirtschaft real wachsen.
Diese Zeiten sind vorbei. Der Arbeitsmarkt ist schlecht, Firmen machen dicht, die Ampelregierung ist zusammengebrochen. Niemand weiß, was morgen als nächste Krise kommt. Was ist die natürliche Reaktion des Menschen auf unsichere Zeiten? Er reduziert seinen Konsum und spart. Wer spart, hat weniger Ausgaben, und weil meine Ausgaben die Einnahmen der anderen sind, hat die Wirtschaft keine Einnahmen. Ohne Einnahmen funktioniert die Wirtschaft nicht, und Personal muss entlassen werden. Genau das sehen wir jetzt überall real.
Was ich eben ausführlich erklärt habe, ist der Grund dafür, dass es überall Entlassungen und Personalkürzungen gibt und in Deutschland die Löhne im Vergleich zum Rest von Europa zu wenig steigen.

Es ist wenig verwunderlich, dass sich Menschen in einer solchen hoffnungslosen und solch aussichtslosen Lage populistischen Parteien wie der AfD und BSW zuwenden. Das ist ein hausgemachtes Problem.


Puh.

Das ist wirklich eine sehr komplexe Frage. Dabei müsste ich noch viel tiefer ins Detail gehen, um sie wirklich korrekt zu beantworten.
Ich versuche es kurz zu machen, lol.
Die Grundfeststellung war, dass die Ausgaben des einen die Einnahmen des anderen sind. Damit die Wirtschaft Einnahmen hat, muss irgendwer Ausgaben haben und Schulden machen.
Die Haushalte kannst du vergessen. Wir haben eben geklärt, dass die Privatleute, makroökonomisch gesprochen, die Haushalte, sparen und keine Schulden machen.
Wer kann sonst noch Schulden machen und dafür sorgen, dass Ausgaben generiert werden?


Zum Beispiel die Wirtschaft könnte Schulden machen. Das gab es mal auch in Deutschland. Firmen haben in den Standort Deutschland investiert, Fabriken gebaut, Geräte und Maschinen gekauft, auf zehn, zwanzig, dreißig Jahre finanziert, dadurch neues Geld in Umlauf gebracht. Wieder dasselbe Prinzip: Die Ausgaben der einen Firma sind die Einnahmen der anderen Firma. Sie kann Mitarbeiter entlohnen, die Kaufkraft der Mitarbeiter steigt, dadurch steigt der Konsum der Haushalte, und die Wirtschaftsleistung des Landes steigt.

Das wird nicht passieren. Das Gegenteil ist der Fall. Weil die Bundesregierung ständig ihre Meinung ändert und für Unternehmen höchst relevante Gesetze ändert, ist der Wirtschaftsstandort Deutschland unattraktiv geworden. Überleg mal, der Chip-Hersteller Intel wollte ein Werk in Ostdeutschland bauen, und wir hätten ihn dafür mit, ich glaube, 11 Milliarden Euro subventioniert. Also, der deutsche Staat hätte Intel 11 Milliarden gegeben, dafür dass er in die neuen Bundesländer investiert und Arbeitsplätze in Deutschland schafft. Und Intel hat in letzter Minute einen Rückzieher gemacht, weil ihm der Standort zu unsicher ist. Kann ich verstehen, gerade bei einem so energieintensiven Betrieb wie einem Chip-Hersteller. Stell dir mal vor, die kalkulieren die Energiekosten mit staatlicher Förderung für grünen Strom, und dann macht die Regierung das Gleiche wie mit der Förderung von umweltfreundlichen Wärmepumpen oder der Förderung für E-Autos. Gestrichen. Einfach weg. Sowas kann sich die Industrie nicht leisten. Die braucht Planungssicherheit. In Deutschland gibt es die nicht mehr, deswegen fahren Unternehmen den Sparkurs.

Welche Marktteilnehmer gibt es noch, die Schulden machen können?
Die Haushalte sparen. Die machen im Moment keine Schulden.
Die Unternehmen machen im Moment keine Schulden.


Das Ausland könnte Schulden machen. Wenn wir es nicht bereits Schulden machen lassen würden. Die Schuldenbremse hat nämlich noch eine zweite ganz beschissene Wirkung auf den Euro und alle anderen EU-Länder, die für meine Begriffe sogar europarechtswidrig sein könnte. Dadurch, dass der Staat keine neuen Schulden machen kann, wird die Währung aufgewertet. Es klingt im ersten Moment unglaubwürdig, aber Deutschland befindet sich tendenziell in einer Deflation.
Wir haben den Euro ja nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Damit eine Währung über so viele Wirtschaftsräume funktioniert, müssen alle an einem Strang ziehen. Es macht keinen Sinn, wenn alle Staaten Schulden machen, um zu investieren, und nur ein einziger Staat macht keine Schulden. Dadurch würde seine Währung aufgewertet werden, seine Produkte wären für das Ausland teurer und Arbeitskräfte, Lohn- und Produktionskosten im Ausland wiederum würden für diesen Staat billiger. Wenn dieser Staat auch noch Deutschland heißt und Exportweltmeister ist, klingt das wie ein Jackpot.

Leider ist das sehr kurzfristig gedacht. Einerseits, weil dich Krisen wie die Energiekrise, die Weizenkrise usw. hart treffen, aber auch generell, weil wenn alle eine Inflation von mindestens 2 % haben, was ganz natürlich ist und auch nicht schlecht, das wird oft falsch dargestellt, wenn alle 2 % Inflation haben, manche sogar mehr, und nur ein einziges Land hat eine Schuldenbremse von 0 % oder 0,35 % – und nennen wir das Land Deutschland – dann ist es nach zehn Jahren ein Unterschied von 16,35 %. Das macht das Ausland und die Währung Euro kaputt. Das Ausland kann nicht mehr ausgeben, weil nichts mehr da ist. Frankreich: Finanzkrise. Seit neuestem auch noch regierungsunfähig.
Italien: Finanzkrise.
Griechenland… you name it.

Da muss überall der Staat einspringen und sich immer mehr haushoch verschulden, um die Wirtschaft am Überleben zu halten. An der scheiß Finanzlage und zu hohen neuen Schulden ist nicht deren Politik schuld oder der Euro, wie oft fälschlicherweise behauptet wird, sondern die Tatsache, dass sich Deutschland von Anbeginn des Euros nicht an das europarechtlich vereinbarte gemeinsame Ziel von 2 % Inflationsrate hält.
Das Ziel von 2 % Inflation, an das sich alle Mitgliedsstaaten halten müssen, damit die gemeinsame Währung funktioniert, wurde nämlich mit der Einführung des Euros extra vereinbart und staatsvertraglich so festgelegt.

Man wollte sicherstellen, dass der Euro eine zuverlässige und stabile Währung bleibt, an der sich kein Mitgliedsstaat zum Schaden anderer Staaten bereichert und die Wirtschaftsräume kaputt macht. Also genau das, was Deutschland seit Jahren macht, wollte der EWR mit den Verträgen zum Euro verhindern. Und Deutschland macht genau das trotzdem.

Und rate mal, wer sich die 2 % ausgedacht hat und durchgesetzt hat, dass alle unterschrieben haben, dass sie sich ans 2 %-Inflationsziel halten.
Na?

Deutschland war es.

Deutschland hat die EWR-Wirtschaft kaputt gemacht. Da ist nichts mehr zu holen.
Das Ausland macht keine Schulden mehr im Moment.
Die Haushalte machen keine Schulden mehr im Moment.
Die Unternehmen machen keine Schulden mehr im Moment.


Wie wir aber ganz am Anfang festgestellt haben: Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Irgendwer muss Geld ausgeben, das er nicht hat. Irgendwer muss Schulden machen, sonst kommt die Wirtschaft zum Erliegen. Das hatten wir weiter oben. Keine Schulden bedeutet Verlust der Kaufkraft, weil Ausgaben gleich Einnahmen. Ohne Einnahmen keine Gehälter und ohne Gehälter keine Steuereinnahmen und kein Konsum. Ganz ehrlich, die knapp 17.000 Totalverweigerer vom Bürgergeld können uns sowas von egal sein. Wir haben ein makroökonomisches Problem ganz anderer Dimension.

Damit sind wir wieder bei dem einzigen Marktteilnehmer neben Haushalten, Unternehmen und dem Ausland, der Schulden machen könnte und muss – sofort muss – nämlich der Staat.

Der deutsche Staat muss Schulden machen. Die Ausgaben des Staates werden die Einnahmen der Wirtschaft. Wir werden unsere Brücken und Straßen sanieren, Schulen modernisieren, in die Energiewende investieren, den Ausbau von erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarparks massiv fördern und gleichzeitig dringend benötigte Stromnetze erneuern. Der öffentliche Nahverkehr, von veralteten Zügen bis hin zu maroden U-Bahn-Strecken, liegt brach und braucht immense Investitionen. In der Klimapolitik bleiben Ziele wie die CO₂-Reduktion auf der Strecke, weil Mittel fehlen, um fossile Heizungen schneller durch erneuerbare Alternativen zu ersetzen. Der soziale Wohnungsbau ist fast zum Stillstand gekommen, während die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum explodiert. Auch der Bildungssektor ist stark unterfinanziert: Digitale Ausstattung fehlt, Lehrkräfte sind überlastet, und Gebäude verfallen. Gleichzeitig hinkt Deutschland in der Forschung und Entwicklung, insbesondere in Schlüsseltechnologien wie künstlicher Intelligenz und Quantencomputern, massiv hinterher. Jeder dieser Bereiche leidet unter einem chronischen Investitionsstau, der sich direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit, das soziale Gefüge und die Lebensqualität auswirkt.

Die Vermögensschere wächst immer weiter auseinander. Chrissy Lindner und sein Kumpel – und Vermieter – Jens Spahn stellen jetzt schon die Weichen dafür, dass ihre Freunde aus dem Porsche-Vorstand auch weiterhin Millionen über Millionen steuerfrei „verdienen“ und vererben können, während den Ärmsten der Armen – Bürgergeldempfängern – auch noch der letzte Cent weggekürzt wird. Das nennen FDP und CDU dann „Arbeit muss sich wieder lohnen“. Ekelhaft ist das.

Ähm.. Wieder denke ich an die Flucht in die offenen Arme populistischer, von mir aus auch rechtspopulistischer Parteien wie der AfD. 30%, wunderts dich? Mir grauts vor den nächsten Wahlen.

Mit Blick auf die USA grauts mir vor morgen.

Ich schäme mich dafür, dass ich mal diese beiden Parteien gewählt habe. Es ist zwei Jahrzehnte her, dass ich mich von Lindners Charme habe hinreißen lassen, aber ich hätte es wissen müssen. Ich habe das schließlich studiert. Und, das lernt man eben schon im Grundstudium der Ökonomie, die Politik der Bundesregierung der letzten dreißig Jahre kann aus dem einfachen Grund, dass die Ausgaben des einen die Einnahmen des anderen sind – die Politik der Bundesregierung mit der Schuldenbremse kann nicht funktionieren. Das konnte sie nie, das kann sie nicht und das wird sie nie. Das ist einfache Buchhaltungslogik.

Damit die Wirtschaft wachsen kann, muss irgend jemand mehr ausgeben als er einnimmt, also schulden machen. Der deutsche Staat muss die Schuldenbremse kippen und Schulden machen, Lohnkosten erhöhen um den Menschen und der EU gerecht zu werden und investieren, dass es nur so kracht.

Um das Monopoly-Beispiel des von mir höchst geschätzten und unterstützten Ökonomen und Polizisten Maurice Höfgen heranzuziehen: bei Monopoly kann die Wirtschaft auch nur mit dem Geld wachsen, das die Bank irgendwann mal ausgegeben hat.


Tu trouveras le contexte de cet article et comment l'idée est née dans cet article ici : L'expérience de l'interview du passé. Tous les dimanches.