Moin,
es ist schon so eine Sache mit dem Radio. Es wiederholt sich ständig so ziemlich alles.
Nun behauptet der Volksmund nur allzu gerne, dass es so viele gute musikalische, sachliche oder sonstige redaktionelle Alternativen gibt, die man senden könnte. Klar könnte man das, aber jeder Sender, der das tut, hat es nicht in die breite Masse geschafft. Wer, wie ich, den ganzen Tag und die ganze Nacht lang Radio (okay, oder Spotify oder YouTube) hört, der kam in den Nachrichten der vergangenen Tage aber tatsächlich einfach nicht an der politischen Debatte um die Legalisierung von Cannabis herum.
Das erinnert mich an meine Schulzeit. Ich durfte damals zum ersten Mal selbst wählen. Kommunalwahlen. Spannend. Als ob sich jemand ernsthaft mit seinen möglichen Landräten auseinandersetzen würde. Kennst du – Hand aufs Herz – deinen derzeitigen Landrat und dessen Eckpunktepapier zu dessen Wahlversprechen? Ich habe die FDP gewählt. Weil ich cool fand, dass die Cannabis legalisieren wollten. 25 Jahre her ist das. Viel getan hat sich seitdem – typisch deutsch -nichts Verwertbares. Das soll sich jetzt ändern. Mal abwarten. Wir werden sehen, was passieren wird. Bis dieser Beitrag online geht – zum Schutz aller vorkommenden Personen entzerre ich ja das Datum von Beitrag und Realität – bist du höchstwahrscheinlich schlauer.
Natürlich denke ich dabei nicht nur an meine Schulzeit zurück. Heute rauche ich Gras aus medizinischen Gründen. Also, auch. Zwinkersmiley. Um genau zu sein eigentlich nicht rauchen, sondern inhalieren durch einen Cannabis Verdampfer.
Für mich gehört das fest zum Alltag. Heute habe ich Vormittags gegen vielleicht 10 Uhr das erste Mal geraucht. Es hilft mir tatsächlich immens. Durch das Vaporisieren (Verdampfen) von medizinischem Cannabis habe ich praktisch überhaupt keine Krämpfe mehr, die ich zuvor mindestens täglich erleiden Wie musste. Das war damals ein echtes Problem. Keine einzige verdammte Nacht verging, in der ich keine Krämpfe hatte. Meist im Laufe des Abends zum ersten Mal, dann kurz vor dem Einschlafen. Wenn es ganz blöd gelaufen ist, sogar während des Schlafens. Trotz entsprechender Medikation ließ sich das nicht so wirklich in den Griff bekommen.
Ähnliche Probleme hatte ich mit den für ALS besonders typischen Faszikulationen. Das sind praktisch spastische, nicht willkürlich kontrollierbare Kontraktionen der Muskeln. Sieht ziemlich abgefahren aus, weil das kann man gar nicht nachmachen, wenn man es versucht. So, wie du es nicht nachmachen kannst, soviel Mühe du dir auch gibst, so konnte ich das nicht unterdrücken. Die Muskulatur ist permanent in Bewegung. Auf Dauer ist das nicht nur unangenehm, sondern wird zwangsläufig zu einer großen Belastung. Meine Faszikulationen haben sich an keinen Zeitplan gehalten. Die waren rund um die Uhr präsent. Vor dem Aufstehen genau so, wie nach dem zu Bett gehen. Bei der Arbeit, in der Badewanne und vorm Fernseher (früher hatte ich noch einen, heute steht nur noch einer im Pfleger Zimmer). Von diesen Zuckungen hatte ich nie meine Ruhe. Als ob ich nicht schon genug beschäftigt wäre damit, gerade in den anfänglichen Monaten, überhaupt erstmal die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose zu verdauen, kommt dann auch noch so ein Mist dazu, der einen rund um die Uhr heimsucht.
Eine viel zu lange Zeit haben wir versucht, die Schwierigkeiten medikamentös in den Griff zu bekommen. Hat nicht funktioniert. Die Krämpfe wurden seltener und weniger heftig. Die Faszikulationen wurden auch weniger. Das bedeutet aber nicht, dass sie weniger nervtötend gewesen wären. Der Preis für das bisschen Linderung erscheint mir aber zu hoch.
- Das Mittel, das primär die Faszikulationen abschwächen sollte war Apydan, ein Antiepileptikum mit einer Liste von Nebenwirkungen, dafür ist diese Seite nicht lang genug.
- Gegen die Krämpfe wurde im akuten Fall Katadolon geschluckt. Ein Muskelrelaxanz, dessen noch interessanteste Nebenwirkung ist, dass es total blöd in der Birne macht. Ohne Witz, zehn Tage Katadolon und ich komm mir vor wie auf Droge.
- Zusätzlich kamen dann noch bei Bedarf Schmerzmittel und Schlafmittel in verschiedenen Variationen zum Einsatz.
Tja. Ich behaupte mal ganz böse, so ist das eben mit der klassischen Pharmaindustrie. Da gibt es eine Tablette, die könnte etwas helfen. Hat zwar krasse Nebenwirkungen und billig ist das vermutlich auch nicht gerade, aber was anderes haben wir nicht. Und dann kommt der Kiffer ums Eck und sagt, er hat da mal was ausprobiert. Wenn ich regelmäßig rauche, dann lindert das alles. Mehr als das. Meine Krämpfe sind komplett weg. Die Faszikulationen sind so weit eingedämmt, dass ich sie nicht mehr spüre. Ganz selten vielleicht ein bisschen, da muss ich mich dann aber schon sehr darauf konzentrieren. Messen lassen die sich schon noch, aber auch sehen tut man davon eigentlich nichts mehr. Wer es nicht weiß, dem wird das definitiv nicht auffallen.
Ganz anders schaut das aus, wenn ich mal drei, vier Tage mit dem Rauchen aussetze. Ich wäre nicht ich, wenn ich nicht alles hinterfragen würde. Es könnte ja auch alles ein Zufall sein. Wer weiß, möglicherweise hat sich irgendwas in meinem Körper verändert und ich habe gar keine Krämpfe mehr. Die Probe aufs Exempel muss schon sein.
Und tatsächlich, einen Tag ohne halte ich ganz gut aus. Am zweiten Tag fangen meine Muskeln an, unruhig zu werden. Das ist für mich schon stressig. An Tag drei ist es kaum noch auszuhalten. Schnell ist hier alles wieder beim Alten. Die Faszikulationen sind zurück in alter Frische.
Um mal eine Vorstellung davon zu bekommen, wie krass das eigentlich ist – sowohl die Faszikulationen an sich, als auch die Tatsache, dass Cannabis die bisher einzige wirksame Therapie ist – hab ich das mal abgefilmt. Das Video ist schon etwas älter. Damals konnte ich meine Beine noch ein bisschen bewegen. Naja und meine Hände und Arme, offensichtlich. Heute könnte ich nicht mehr selbst filmen. Die Wirkung des Cannabis hat sich aber nicht verändert. Wer mich heute kennt, der glaubt mitunter nicht, dass das auf dem Video meine Beine sind. Wie gesagt, sobald ich Gras rauche, ist da alles still und entspannt.