Liebes Tagebuch,

ich kann Das aus voller Überzeugung sagen, ich hätte gerne mal einen total langweiligen Tag. Einen, an dem so wenig passiert, dass mir sogar schlafen und YouTube zu langweilig werden. Und das, obwohl ich es liebe, zu schlafen.

Um gleich mal wieder in schlechter alter Manier zu meckern: Wieso werde ich eigentlich so oft fürs Schlafen kritisiert? Ist doch meine Sache, wenn ich um 4:30 Uhr aufstehen will und mich dafür um 11 Uhr wieder aufs Ohr haue. Mal ganz davon abgesehen, dass ich selten bis niemals aus freien Stücken auf die Idee käme, nach gerade mal 90 Minuten Schlaf wieder aufzustehen. Das wird in aller Regel andere Gründe, Ursachen und Auslöser haben. Ich sag mal so…

Nein. Es liegt nicht an meinen Haaren, dass bei dir die Maske fast immer schief ist.

Nein, würde es an meinen Haaren liegen, so müssten deine KollegInnen ähnliche Probleme damit haben. Haben sie aber halt einfach nicht. Andere Schwierigkeiten zu Hauf. Aber das hier nicht. Und so leid es mir tut, es führt nicht einmal die aktuelle Masken-Hitparade an:

  1. Hinteres Kopfband wird bis in den Hals gezogen. Die Maske drückt dann zuweilen so fest ins Gesicht, dass ich an Oberlippe, Wange und Nase dekubitusgefährdet bin. Tatsächlich, soll vorkommen. Wusste ich auch noch nicht, dass es so etwas im Gesicht gibt. Ist aus zwei Gründen nicht weiter problematisch. Erstens tun eh schon wieder meine Knochen hinten weh. Auf ein bisschen Zahnschmerzen mehr oder weniger kommt das jetzt auch nicht mehr an. Und zweitens hat mich das Kopfband im Hals ohnehin in fünf Minuten erdrosselt.

  2. Alles zu eng hier. LOL, ich weiß selbst sehr gut, was ich mal gesagt habe. Alter ist eine Frage der Enge und hey, eng ist ein dehnbarer Begriff. Gilt leider nicht für CPAP Masken. Hohe Dichtigkeit ohne Leckage kommt nur dann zustande, wenn alles ordentlich sitzt. Das übermäßige Festziehen ist kontraproduktiv.

  3. Die Nasenlöcher in der Maske sind für die Nasenlöcher der Nase vorgesehen. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wieso fast jeder geneigt ist, die Nasenspitze da rein zu stecken. Das macht einfach so überhaupt keinen Sinn.

Außerhalb der Wertung kommt selbstverständlich auch beim Aufsetzen der Maske regelmäßig der Klassiker vor. Es passt auf Anhieb alles wie angegossen. Aber statt auf mich zu achten, auf meine Mimik, meine Augen, meine Augenzeichen für „verdammt, lass mich schreiben“ oder statt mein Geschriebenes zu lesen, wird hektisch an der Maske hin und her gerissen, bis gar nichts mehr passt. Aber wehe dem, wenn ich was sage. Dann gibt es nur zwei mir bekannte Reaktionen von PflegerInnen. Der Start einer hinverbrannten Diskussion darüber, wieso trotzdem ich daran Schuld bin – als ob es jemals um Schuldzuweisungen ging – oder Geheule und bächeweise Tränen. Ich muss ja so ein schlechter Mensch sein, der Wahnsinn.

Um das Thema Schlaf abzuschließen, ich schlafe einfach echt gerne. Wie schon Jake Harper in meiner Lieblingsserie zu sagen pflegte:

Ich schlafe so gerne, manchmal träume ich sogar vom Schlafen.

In letzter Zeit häufen sich bei mir die Fragen großer Tragweite. PEG, Kanüle, Kinderwunsch. Diese drei Begriffe hat vor mir auch noch keiner in einem Atemzug genannt. Zwinkersmiley. Aber genau das ist das Ding. Nee, ich rede nicht vom Horrorfilm aus 1982. Wobei der echt sehenswert ist, wie ich mich erinnern kann. Hab ihn als Kind in der ungekürzten Originalfassung auf VHS gekauft. Diese spezielle im hmv store in UK. Aber nein, mal wieder ein wenig Ernsthaftigkeit zeigen hier. Angesichts solcher Fragestellungen erklärt sich vielleicht, wieso ich manch anderer Diskussion überdrüssig bin. Das ist gar nicht bös gemeint. Viele Dinge, für die sich andere begeistern können, interessieren mich einfach nicht die Bohne. Fußball zum Beispiel. Andere Themen, die du wiederum vermutlich mit dem Arsch nicht anschauen würdest, fesseln mich über Stunden. Je mehr die Grunderkrankung voranschreitet, desto ausgeprägter wird meine Schwarz-weiß-Denke. Ich schätze, das ist eine natürliche Selektion. Je geringer die verbleibende Lebenserwartung, desto mehr wird vorsortiert.

Aber gehen wir nochmal einen Schritt zurück. Was muss denn bitte hier vorgefallen sein, damit mein Kiefer so ausschaut? Eine mittelschwere Schlägerei. Ich erzähle natürlich überall, dass mich mein Hund ungünstig getroffen hat #insider .

Immerhin habe ich keine Schmerzen. Bei all den Erlebnissen der vergangenen Wochen und Monate ist das mal ganz was Neues. Etwas positives Neues. Das hatte allerdings auch zur Folge, dass mir Brisanz und Schwere meiner Blutung im Mund nicht bewusst waren. Um ehrlich zu sein, den ersten halben Tag habe ich das überhaupt nicht mitgeschnitten. Wäre es nicht abends, vor der Übergabe, erwähnt worden, ich wäre weiter von übermäßiger Speichelproduktion ausgegangen. Nur das tiefrote, im gedämpften Wohnzimmerlicht schwarz wirkende Sekret im Absaugbehälter hätte mich möglicherweise mehr aufhorchen lassen sollen. Bei der abendlichen Übergabe dann dämmert mir so langsam, dass vielleicht doch nicht alles so in Butter sein könnte wie ich bisher davon ausgegangen war.

Schichtwechsel. Szenenwechsel. Der Nachtdienst hat übernommen. Ihm gefällt gar nicht, was er hier sieht. Eigentlich brauche ich einen Arzt. Ich habe keine Lust auf Bereitschaftsdienste und Notärzte. Die schicken mich sowieso jedes Mal postwendend in die Notaufnahme. Was totaler Blödsinn ist, weil ich beatmungspflichtiger Intensivpatient bin. Ich gehöre auf die Intensivstation. Dort hin, wo sich nicht zwei Schwestern um 20 Notfälle kümmern. Und wo jemand realisiert, wenn meine Maschine Alarm schlägt, nachdem mal wieder ein Schlauch gezogen wurde und abgefallen ist. Den einen oder anderen Schockmoment habe ich da schon erleben dürfen. Notaufnahme Großhadern zum Beispiel. Der Knaller, sag ich dir. Schieben mich auf so einem Metalltisch wie von einer Obduktion ins Kämmerle. Und hauen alle ab. Ich alarmiere. Nichts passiert. Ist eine eigene Story wert, dieser Ausflug.

Ich schreibe meinem Hausarzt und bitte um Visite.

Guten Abend liebes Praxis-Praxis-Team,

ich melde mich morgen sobald ich auf bin, wollte mich aber schon voranmelden...

Seit dem Zähneputzen heute früh habe ich durchgehend Zahnfleischbluten. Es bilden sich außerdem laufend Blutpropfen zwischen den Zähnen, die sich äußerst unangenehm anfühlen und meine Pfleger sind der Ansicht, dass diese auch aus Gewebe bestehen. Woher auch immer sich dieses in solchen Mengen ablösen könnte.

Kann ggf. moren jemand vorbei kommen und sich das anschauen?

Liebe Grüße
Patrick Ruppelt 

Was folgt, ist eine mehr oder minder schlaflose Nacht.

Ich behaupte oft, mein Hirn wäre unfähig, einmal gesehenes zu vergessen. Ein paar Ausnahmen von der Regel gibt es wohl. Unangefochtene Nummer eins: Sauerstoffsättigung SPO2 ≤ 76. Das ist echt ziemlich freaky. In meiner letzten derartigen Erfahrung war ich wohl noch weitgehend klar in der Birne, erinnere mich selbst aber nicht mehr daran, was nach dem Abfall auf weniger als 76 Zähler passiert ist. Ich soll wohl noch erklärt haben, was zu tun ist, wo der Sauerstoff steht und all so Zeug. Aber daran erinnern tue ich mich nicht. Von akademischem Interesse wäre es schon, die Situation in einem überwachten Experiment nachzustellen. Meine Motivation, akute Atemnot in der Form noch einmal zu durchleben hält sich dummerweise ziemlich in Grenzen. Schaumer mal.

Auf Platz zwei dicht gefolgt, akuter Schlafmangel. Jetzt ist natürlich die Frage, ob ich die Dinge da tatsächlich vergesse, oder ob ich diese aufgrund der Übermüdung gar nicht mehr ins Gedächtnis aufgenommen habe. Maximal vielleicht noch ins Ultrakurzzeitgedächtnis und von da direkt auf /dev/null umgeleitet. Das Ergebnis ist das gleiche: Ich weiß, dass ich mich morgens bei meinem Pfleger für die beschissene, nein, blutige Nacht entschuldigt habe (Achtung Wortwitz). Das wars. Finito. Mehr ist von der Nacht nicht geblieben.

Aber blutig, oh ja. Nicht nur diese Nacht war blutig. Es stehen uns ein paar spannende, frustrierende, interessante und manchmal auch erleichterte Stunden bevor. Nur um festzustellen, dass wir uns in noch viel weitreichendere Probleme stürzen.