Liebes Tagebuch,

wieso fällt mir eigentlich nichts Erfreuliches mehr ein, über das ich berichten könnte? Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass es mir im Moment nicht so sonderlich dolle geht. Kein Grund zur Sorge, ich springe nicht gleich von der nächsten Brücke. Der Aufwand, da überhaupt erstmal hinzukommen, erscheint mir deutlich zu hoch. Wenn du das hier liest, geht es mir sicherlich auch schon besser. Denn bis sich dieser Beitrag automatisch veröffentlicht, vergehen noch einige Tage. Ich veröffentliche bekanntlich alles mit ein bis zwei Wochen Zeitversatz. Ich möchte nämlich nicht, dass ein Außenstehender von meinem Blog etwaige Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen kann.

Aber in der Tat, in der letzten Zeit habe ich wohl öfters einen Durchhänger. Die Dinge, die funktionieren, die hake ich gedanklich irgendwie als selbstverständlich ab. Selbstverständlich schaffe ich nach wie vor, komplizierte Musterverträge für Kunden zu erstellen und sie rechtlich zu beraten. Ich verdiene gutes Geld. Sehr gutes Geld. Das muss mir erstmal einer nachmachen. Und zwar unabhängig von meiner ALS Erkrankung, meine ich. Ich bekomme mein Leben aber auch ganz allgemein selbst geregelt, trotz 90% Schwerbehinderung und höchster Pflegestufe.

Ich könnte uns beide noch länger damit langweilen, was ich alles erreicht habe. Aber was ändert das an meinem Dasein im hier und jetzt? Nichts, was das Leben wirklich ausmacht.

Scheiße, Frau/Mann. Jetzt werde ich auf meine alten Tage noch depri-philosophisch oder was? Und überhaupt, was hat das mit der Überschrift zu tun? Nix. Oder vielleicht doch?

Die Gedankenkette kann ich dir erklären.

Gerade erst bin ich damit beschäftigt, eine Apotheke zu finden, die mich mit Trinknahrung beliefern möchte und auch kann, da stoßen wir auf das nächste Problem mit unseren Bestellungen.

Heute sagt mir mein Pfleger beiläufig, dass mein Gras praktisch leer ist. Aber als mir letzte Woche gesagt wurde, dass ich nur noch genügend Kapseln für drei bis vier Wochen habe, da habe ich doch sofort ein neues Rezept angefordert. Und ich habe doch gestern erst meinem nachfragenden Pfleger erklärt, dass es bestellt ist und meine Apotheke voraussichtlich noch abends liefern würde. So sagte man mir jedenfalls. Naja, gestern Abend war auch eine Lieferung der Apotheke da. Nur leider war kein Cannabis dabei und meinem Pfleger war wohl nicht klar, dass ich es erwarte. Ist mir zwar ein Rätsel, wieso ich mich an das Gespräch erinnere, aber nach Meinung mich meiner Pfleger vergesse ich ja ständig irgendwas. Also wieso nicht zur Abwechslung mal was dazudichten?

Auf Nachfrage erhielt ich vorhin die Rückmeldung, dass es Lieferschwierigkeiten gibt. Frühestens Ende nächster Woche darf ich mit der Lieferung rechnen.

Das reiht sich perfekt ein in ziemlich viele Sachen, die im Moment nicht so laufen, wie ich mir das wünschen würde. Meine Ohren sind regelmäßig zu, weil denen die Bewegung des Körpers fehlt. Nicht gut zu hören schlägt mir übel aufs Gemüt. Mir, der 24 Stunden am Tag Musik hört. Sogar während ich am Schreiben bin, eine Reportage schaue oder schlafe. Es gibt Tropfen, mit denen man die Ohren reinigen kann, das funktioniert ganz gut, wenn es regelmäßig gemacht wird. Leider sind die Tropfen nicht lieferbar. Auch bei denen gibt es Lieferprobleme.

Meine HNO Ärztin sollte wohl besser vorbeikommen. Das wird sonst nix. Auf dem rechten Ohr bin ich praktisch wieder taub. So, wie es im letzten Sommer der Fall war. Da haben wir mehrere Termine zur Ohrenreinigung gebraucht und das war zeitweise sehr, wirklich sehr schmerzhaft. Einen der Versuche mussten wir sogar abbrechen, weil ich tatsächlich aus dem Ohr geblutet habe. Du kannst dir vorstellen, die Vorfreude ist groß. Aber was mache ich mir deswegen einen Kopf? Seit ich vor hm… zwei Wochen oder so um einen Termin gebeten habe ist nicht wirklich viel passiert.

Inhalationslösung. Noch so ein Medikament, das seit Monaten vergriffen ist. Die einzige Möglichkeit, die halbwegs an meine eigentlich verordnete Medikation rankommt, ist die selbstgepanschte Variante aus drei einzelnen Ampullen. Ist leider von der reinen Inhalation her nicht ganz ideal. Die Inhaltsstoffe sind nicht identisch, insgesamt kondensiert das selbst gemischte Präparat wesentlich stärker direkt in der Atemmaske. Das ist nicht nur unangenehm, es erschwert auch die Atmung extrem. Was irgendwie das genaue Gegenteil ist von dem, was ich eigentlich mit der Inhalation erreichen möchte. Ohne anschließendes Coughen (Husten) und mehrfaches intensives Absaugen oral und nasal geht die Inhalation oft nach hinten los.

Jetzt könnte man einwerfen, dass das Zusammenkippen von drei Ampullen ja wohl kaum zu viel verlangt sein kann. Und Husten soll ich ohnehin nach der Inhalation. Wie auch das Absaugen. Das ist doch genau der Sinn der Sache, oder etwa nicht? Ja, aber… zunächst einmal kann nicht jeder richtig lesen. Wie oft ich schon fragen musste, ob das sicher die korrekte Mischung ist, weil die richtige Schachtel anders aussieht… Wie oft ich in den vergangenen drei Monaten gefragt wurde, wie man das jetzt doch gleich mischen sollte… Ich habe die Anleitung schon in unsere Gruppe geschrieben und mittlerweile steht sie sogar dauerhaft sichtbar auf dem 1,5 Meter hohen Standdisplay, das neben meinem Bett steht. Dreimal darfst du raten, wie viel das bewirkt hat. Genau.

Was das Absaugen angeht, das habe ich aufgegeben, meinen PflegerInnen erklären zu wollen. Frag mich nicht, was so schwer daran sein kann, über die Nase abzusaugen. Manch PflegerIn weigert sich erfolgreich, es überhaupt zu versuchen. Da kann ich bitten und betteln, so viel ich will.

Und so geht es derzeit weiter und weiter in meinem Leben. Bei einem bekannten Online-Versandhaus habe ich ein Spar-Abo für mein Duschgel eingerichtet. So muss ich mich nicht mehr darum kümmern. Doch da habe ich wohl nicht berücksichtigt, dass es heutzutage sogar bei einem bescheuerten Duschgel zu Lieferschwierigkeiten kommen kann. Und irgendwann war auch davon meine letzte Flasche aufgebraucht. Was machen meine PflegerInnen? Mir rechtzeitig Bescheid geben? Ha ha. Wovon träumst du nachts? Man kann doch auch zur großen Buddel Schaumbad greifen und den Patienten damit einseifen. Würde man mich danach wenigstens mit klarem Wasser wieder abwischen. Aber nein, dazu sind zumindest alle festangestellten männlichen, aus dem jugoslawischen Raum stammende Pfleger, zu faul. Da kann ich sogar zum Besten geben, dass ich das schleimig-klebrige Gefühl auf der Haut eklig finde. Die einzige Reaktion ist ein ungläubige Blick und die etwas ratlos wirkende Frage, ob er dann kein Cremebad mehr nehmen soll jetzt und hier. Lass gut sein. Bin ja froh, mittlerweile überhaupt regelmäßig gewaschen zu werden. Und dann bestelle ich einfach irgendwas anderes, was lieferbar ist. Dann passiert so etwas vielleicht nicht mehr. Eine kleine Sorge weniger. Klein, aber immerhin.

Das wirklich blöde an meiner Situation ist, dass ich mich irgendwann nur noch auf solche Dinge fokussieren kann. Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwas schief geht, das nicht in meiner Macht steht, mich aber gleichwohl direkt betrifft.

Und das schlaucht. Das zehrt an den Nerven.

Meine Freundin habe ich literally seit Monaten nicht gesehen. Uns trennen ungefähr 940 km. Kein Zeit. Flüge zu teuer. Eigener privater Stress, der wiederum ganz schnell zu unserem eigenen Beziehungsstress wird. Weil es mir schwer fällt, viele der Probleme meiner Freundin ernst zu nehmen. Mir ist völlig klar, dass diese Probleme für sie durchaus belastend sind. Aber in meinen Augen und in meiner Welt nunja… schwierig. Vielleicht stumpfe ich auch einfach zu sehr ab. Ich weiß es nicht. Und irgendwie Verständnis heucheln und Mitgefühl vorgaukeln, nein, das hatte ich oft genug in meinem Leben. Ich werde 44 dieses Jahr, aller anders lautender Prognosen meiner Ärzte zum Trotz. Ich war noch nie der Typ dazu, eine Beziehung auf Lügen aufzubauen anstatt auf Offenheit und übertrieben wirkender Ehrlichkeit. Wenn mir das jetzt um die Ohren fliegt, dann ist das so.

Schätze, das ist jetzt der erste Beitrag von mir, der einen echten Tagebuch Charakter hat. Konfus, privat und ungeschönt. Wie das bei meinen Lesern ankommen mag, wer weiß das schon. Vielleicht liest es eh keiner oder bricht nach den ersten Sätzen gleich wieder ab, weil es nicht wirklich jemanden interessiert. Ich lasse es trotzdem so stehen, weil irgendwie gehört es in meinen Augen dazu, dass ich auch darüber schreibe, wenn selbst ich mal überfordert bin mit mir selbst, weil mich grad alles nervt und man mir nichts rechtmachen kann. Zwinkersmiley.

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