Liiiiebes Tagebuch,

schön, dass es dich gibt. Du verstehst mich. Wenn ich dir in einer sachlichen Besprechung widerspreche, du würdest nicht auf deine Meinung bestehen und darauf rumreiten, ohne sie zu hinterfragen.

Ich hätte irgendwas vergessen, das höre ich mehrfach täglich. Obwohl die Bilanz 100% auf „Patrick hat nichts vergessen, sondern Pflegerin hat einen Fehler gemacht “ steht. Ist euch das eigentlich nicht irgendwann mal peinlich? Mir wär das ja zu blöd.

Weil du mir aber dein Ohr schenkst, wenn ich etwas zu sagen hab, weißt du ja, wie es grad um meine Gedankenwelt bestellt ist. Es vergeht seit Wochen kein Tag, an dem ich mich nicht über einen meiner Pfleger oder eine meiner PflegerInnen aufregen würde. Es ist zwar oft wegen eines Pflegefehlers, der nicht zum ersten Mal passiert ist, aber das macht es nicht besser. Auch sind es keine Lappalien, wenn man sich die dritte Woche in Folge bei meinen Medikamenten vertut und mir schon wieder die doppelte, oder möglicherweise dreifache Dosis Weichmacher und Abführmittel einführt.Mein Bauch explodiert irgendwann noch, wenn wir das mit den Medikamenten nicht bald ein für alle Mal in geregelte Bahnen lenken.

Am meisten belastet mich dabei, dass meine PflegerInnen – wie es auch in der Vergangenheit bei anderen Pflegediensten der Fall war – herzensgute Menschen sind. Aber wo es fachlich nicht passt, da muss korrigiert werden. Und dazu wiederum ist nötig, dass man sich den Fehler als erstes mal eingesteht und nicht lfür jeden Scheiß neue Ausreden ausdenkt. Ohne Witz, an so manchen meiner Pfleger sind Märchenerzähler verloren gegangen. Ich muss das irgendwie mal bewusst völlig überzogen darstellen, um deutlich zu machen, wie sehr ich das lächerlich und anmaßend finde, wenn man meint, meine Fähigkeiten zu denken und mich an etwas zu erinnern infrage infragestellt. Oder mir immer wieder die gleiche Lebensgeschichte erzählt. Es scheint sonst niemand verstehen zu wollen.

Einen gut gemeinten Ratschlag möchte ich jetzt aber gleich loswerden. Das denke ich mir nämlich so oft in letzter Zeit.

Je öfter und intensiver jemand betont, dass er es nicht war, desto unwahrscheinlicher wird das.

Der Spruch lässt sich auf so viele Situationen übertragen. Beispiele gefällig? Bitte:

  • ch habe nichts gegen Schwarze. Aber als Schwarzer bekommst du alles.
  • Ich habe nie irgendwelche Whiskey Flaschen von dir mit nach Hause genommen.
  • Ich habe die ganze Küche geputzt, das war vielleicht eingesaut alles.
  • Ich habe ständig nach dir geschaut, aber bei mir schläfst du immer wie ein Stein.
  • Mach dir keine Sorgen, ich kann arbeiten.
  • Ich habe nichts gegen Schwule, aber meinen Kindern würde ich das verbieten.
  • Es geht uns nicht ums Geld.
  • Ich hab immer nur ganz wenig genommen und dir immer Bescheid gesagt. Aber deine Freundin, die vernichtet alles.
  • Ich bin kein Impfgegner, aber…
  • Ich hab hier nie gefrühstückt.
  • Ich bin ja kein Verschwörungstheoretiker, aber Corona… und Bill Gates…
  • Ich habe genau auf deine Augen geachtet und du irrst dich. Du hast „Nein.“ gesagt, schon vergessen?
  • Ich will dich echt nicht zur PEG zwingen, aber…
  • Ich will dich echt nicht zur Kanüle zwingen, aber…
  • Ich fahre immer pünktlich los, aber jedes Mal ist so viel Verkehr.

In den vergangenen Wochen habe ich mich oft dabei erwischt, wie ich mir eine interessante Frage gestellt habe. Wieso ich eigentlich noch immer nicht gekündigt und den Pflegedienst gewechselt habe. Buchstäblich die Frage ist interessant, nicht die Antwort.

Wochenlang stellte ich mir die Frage, ob ich nicht den Pflegedienst wechseln sollte. An die Stelle dieser Frage rückt neuerdings zunehmend die Frage, „wieso nicht?“ anstelle von ob.

Wenn ich mich also mit dieser Frage beschäftige, dann schaut der Himmel über Grünwald ganz schön trüb aus für den derzeitigen Anbieter. Du hast richtig gehört, Anbieter. Ich finde, nach allen Erlebnissen der vergangenen Jahre, dass wir auf beiden Seiten mal wieder eine „humble“ Einstellung zur Pflege brauchen. Scho recht, ich fange nicht heute die Grundsatzdebatte dazu an. Aber es ist nunmal nicht von der Hand zu weisen, dass wir uns in der Pflege immer mehr einem Nachfrageüberhang konfrontiert sehen. Ohne diese massive Schieflage am Markt könnten wohl ganz, ganz viele Pflegedienste überhaupt nicht existieren. Hätte ich mich in einer meiner Firmen auch nur ansatzweise so unprofessionell und unfreundlich gegenüber Kunden verhalten, meine Fresse, hätten uns diese in die Schranken gewiesen. Man stelle sich vor, ich schrieb dem Kunden solch Dinge, die mir Geschäftsführer von Pflegediensten an den Kopf geworfen haben. Keine 20 Minuten hätte es gedauert, bis auch am Sonntag früh mein privates Telefon daheim geklingelt hätte, was mir einfällt, was für einen Tonfall ich mir erlaube.

In der Pflege haben wir uns aber scheinbar daran gewöhnt, von vorne bis hinten verarscht zu werden. Während die Arbeit von Pflegekräften viel zu wenig honoriert und respektiert wird einerseits, darf sich der Anbieter von Pflegeleistungen offenbar alles erlauben. Seine Mitarbeiter verheizen und den Kunden ausnehmen.

Beides mache ich nicht mehr mit. Ich sehe nicht ein, wieso hochmotivierte Pfleger nach einem halben Jahr am Krückstock gehen, weil man sie mal eben auf 220 Stunden geplant hat – plus Einspringen für kranke KollegInnen und ohne dafür angemessen (oder überhaupt) entlohnt zu werden. Und ich sehe nicht ein, wieso ich selbst in meinem Zustand noch 1.809,24 € monatlich an meine gesetzliche Krankenversicherung abdrücke und dann trotzdem noch betteln soll, dass irgend ein Pflegedienst mich und die weit über 300.000,- € p. a. von meiner Kasse nimmt. Das ist total verquer. Da läuft was ganz gewaltig schief in Deutschland.

Und damit wäre ich dann auch bei meinem ganz elementaren Dilemma aus dem Titel dieses Posts. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Wenn also mit meinen PflegerInnen alles super wäre spräche nichts dagegen, alle mitzunehmen und einfach beim Pflegedienst zu kündigen. Wenn jetzt nicht ein „Aber…“ käme, und was für eins. Die Qualität meiner Versorgung kann ich allenfalls als mangelhaft bezeichnen. Die Schuld daran nur beim Management zu suchen wäre nicht gerechtfertigt. Pfleger, die noch zwei Nebenjobs haben und dafür bei mir den Arsch nicht hochkriegen, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Jeder, der sich mit einer oder gleich mehreren der obigen Aussagen („Ich bin ja kein Impfgegner, aber…“) identifizieren kann, muss sich darüber Gedanken machen, ob er/sie mich auch weiterhin begleiten und unterstützen möchte. Oder eben nicht. Denn eines muss allen klar sein. Diese ständigen Diskussionen wird es bei mir in Zukunft nicht mehr geben.