Liebes Tagebuch,

eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, weniger zu fluchen. Und auf was für Ideen komme ich dabei? Yeah, ich erstelle eine neue Kategorie namens „Aufreger“. Das nenne ich mal, mit Pauken und Trompeten zu scheitern.

Ich hab aber auch ständig Themen auf dem Tisch, da kannst echt nur mit dem Kopf schütteln. Dass ich mit meiner Meinung nicht allein bin, das zeigen schon binnen zehn Minuten die ersten Reaktionen.

Worum geht es?

Berechtigte Frage. An sich ganz einfach. Nachdem ungefähr jede einzelne Bestellung, die mein Pflegedienst „weil es so üblich ist“ für mich übernommen hat in die Hose ging, kümmere ich mich fortan wieder selbst darum. Denn es ist wirklich ein Problem, wenn stark gewöhnungsbedürftige Medikamente urplötzlich leer sind. So ein zwangsweiser „Kalter Entzug“, nichts anderes ist das, fördert nicht unbedingt meinen Metabolismus.

Auch ganz besonders viel Freude hat es mir in Zeiten vor der PEG bereitet, wenn die Sorte Nahrung aus war, nach der ich grad verlangte. Als ob es mir um den Geschmack ging, wenn ich schier die Wände hätte hochgehen können. Nein, es ging dabei immer um die Inhaltsstoffe. Das aus drei gleichermaßen relevanten Gründen

  1. Die Magenverträglichkeit ist von Nahrung zu Nahrung sehr unterschiedlich. Als Nahrungs- und Energiequelle „on top“ habe ich ja 2019 bereits angefangen, Fresubin (medizinische Trinknahrung) zu trinken. Seit ich mich vegan ernähre, vertrage beispielsweise keine Produkte mehr, die zwecks „gesunder“ Fette mit Fischöl angereichert wurden.
  2. Auch in Sachen Speichelproduktion bestehen drastische Unterschiede. Verallgemeinert kann man sagen, dass der Körper umso mehr schleimig-klebriges Sekret bildet, je mehr Milcheiweiß enthalten ist. Für mich als Veganer aus Überzeugung ist das eh schon ein ethisches Problem, dass es keine hochkalorische, ballaststoffhaltige Trinknahrung ohne tierische Erzeugnisse gibt.

    Ganz vereinzelt findet man mal was, das auf Soja basiert. Bei Herstellern wie Nestlé will ich aber gar nicht wissen, wie viel Regenwald für eine Flasche davon buchstäblich verbrannt wurde. Und wie viel Treibstoff der Flieger von Südamerika bis nach Europa verbraucht hat. Oder wie viele Meeresbewohner vom Schiffslärm psychische Störungen erlitten haben. Oder wie viele Wale unter den Bug oder die Schiffsschraube gekommen und qualvoll gverendet sind. Oder, oder, oder… sich die Frage gar nicht stellt, weil ich gegen Soja allergisch bin.
  3. Sondenkost (und klassische Trinknahrung) unterscheidet sich eben nicht nur im Kaloriengehalt. Insbesondere gibt es viele Produkte ohne Ballaststoffe. Davon kannst du mir fünf Stück reindonnern und ich bin kein bisschen satt. Mir wird vielleicht schlecht davon, aber ein Sättigungsgefühl habe ich nicht. Woher auch sollte das kommen? Leider hat das bis zuletzt nicht jede meiner PflegerInnen verstanden. Es passierte nicht nur einmal, dass mir statt einer eigentlichen Nahrung ein reiner Fett-Booster untergejubelt wurde. Und dann wundert man sich, dass ich so eine gestörte Verdauung habe.

Noch so ein Klassiker sind die regelmäßigen Verbrauchsmaterialien wie Luftfilter für Beatmung und Cough Assist. Beide Geräte sind täglich mehrfach bzw. durchgehend im Einsatz. Aus hygienischen Gründen muss der Filter täglich gewechselt werden. Wir brauchen also rund 60 Stück im Monat. Bei der einzig erhältlichen Packungsgröße von 30 Filtern benötigen wir also pro Monat… Trommelwirbel… richtig, zwei Packungen. Ich weiß nicht, was trauriger ist. Dass es Monate gibt, in denen wir mehr als 20 Filter übrig hatten oder solche, in denen die Dinger auf einmal vollkommen unerwartet leer waren. Und man bei einer Sonderbestellung beim Versorger einfach mal locker mit drei, vier oder auch fünf Tagen rechnen muss. Werktagen wohlgemerkt, was in dieser Branche meiner Erfahrung nach ungefähr Montag Mittag bis Donnerstag am späten Nachmittag bedeutet.

Und so zieht es sich durch alle Lebensbereiche. Sobald mein Pflegedienst eine Bestellung absetzte, kam entweder zu wenig Ware oder zu viel. Und in den meisten Fällen gar nichts, weil vergessen wurde, überhaupt zu bestellen. Ach halt, oder es kam das falsche. Schläuche für ganz andere Beatmungssysteme wie das meinige. Und Gänsegurgeln, die weder auf der einen Seite noch auf der anderen auf meine Schläuche oder Geräte passen. Jahrelang habe ich dort bestellt und nie gab es solche Probleme. Seit ich die Bestellungen nicht mehr selbst erledige, hat nicht eine einzige mehr reibungslos geklappt. Und Ja, man hat durchaus versucht, Fehler zu korrigieren. Aber alleine wenn ich mitbekomme, dass für eine Folgebestellung von zwei Standardrodukten drei Telefonate plus ein Hausbesuch nötig sind, dann dreh ich am Rad. Und am Ende kam es dennoch wieder zu mir auf den Tisch, weil die Bestellung ohne mein Wissen auf meinen Namen durchgeführt wurde und man sich zwecks erneuter Rückfragen an den vermeintlichen Besteller wandte. So viel mal dazu.

Und es passiert wieder.

Jetzt habe ich mittlerweile genau eine einzige Trinknahrung gefunden, die ich zu jeder Tageszeit gut vertrage und wonach sich die Sekretproduktion in einem naja, sagen wir mal gerade noch erträglichen Niveau bewegt. Eine Nahrung, hochkalorisch und reich an Ballaststoffen sowie zur ausschließlichen Ernährung mit übertrieben energiereich anmutenden Diät geeignet.Die Betonung liegt auf „eine“.

Ich habe geglaubt, mit den vielen Sorten von früher war es zu viel verlangt mich zu informieren, wenn man den letzten Karton öffnet. Denn das war mein Standardprotokoll. Letzten Karton geöffnet? Mich informieren. Ich beantrage ein Rezept, die Praxis schickt das der Apotheke. Die wiederum bestellt den Karton und lifert zu mir nach Hause, sobald die Ware verfügbar ist. Leider ist auch meine Trinknahrung von diesen ominösen Lieferkettenproblemen betroffen. So haben manche Bestellungen einfach mal gepflegte zwei Wochen gedauert. Auf die Lieferung der Sorte Mango warte ich noch heute.

Dann entsprang mir die Idee, es könnte einfacher sein, nein, es ist einfacher, wenn es nur noch eine einzige Sorte gäbe. Und so gibt es seit Wochen nur noch 2 kcal fibre Schoko für mich. Früh, mittags, nachmittags und abends. Mitunter auch noch einmal nachts. Geht doch eh über die PEG, also scheiß drauf.

Und es passiert wieder .

Und dann wieder.Auf meinem riesigen Samsung The Sero Display steht in meiner Übergabe jetzt als erster Punkt:

Ich habe mir große Mühe gegeben, es vorurteilsfrei und diplomatisch zu formulieren. Was mir zngesichts bevorstehender Hungersnot zugegebenermaßen schwer fällt.

Heute früh sagt mir der Nachtdienst, ich müsse mal wieder Nahrung bestellen. Also habe ich, der akuten Dringlichkeit vollkommen unwissend, bei meinem Hausarzt das übliche Rezept angefordert. Damit war die Sache für mich quasi erledigt.

Nachmittags dann erklärt mir der Tagdienst auf meine Nachfrage hin, dass nur noch drei Flaschen für morgen übrig sind. Soll heißen, dass es schon wieder vergessen wurde. Meine PflegerInnen müssen echt nicht mehr viel machen. Ich kümmere um Alles. Man muss mir nur sagen, wenn etwas leer wird. Und selbst das hat jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr nicht funktioniert. Und wir haben gerade erst einmal April.

Long story short: Amazon würde frühestens in drei Tagen liefern. Man online Apotheke schafft es in zweien. Vorausgesetzt natürlich, es ist vorrätig, was es dieser Tage nur selten der Fall ist. Heute kannst dich ja schon glücklich schätzen, wenn du überhaupt beliefert wirst. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, also hoffen wir mal, dass meine Apotheke binnen 24 Stunden liefert. Wird wohl eher nicht passieren, aber was bleibt mir für eine Wahl? Dass dies erst der Anfang einer Geschichte ist, die mich mal wieder so richtig viel Geld kosten sollte, das war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht abzusehen…

image_pdfSeite als PDF speichernimage_printDrucken