Ein Tag wie fast jeder andere. Mühsam habe ich mich aus dem Bett gequält, habe es dann aber doch irgendwie in den Rollstuhl geschafft. Manchmal bin ich mir selbst nicht klar darüber, wie das überhaupt funktioniert hat. Lange geht das nicht mehr gut. Die Zigarette mit dem ersten Kaffee am Balkon ist bald mühsamer, als es den Aufwand wert ist. Den Hustenautomaten kann ich gerade noch so bedienen. Ohne den geht am Morgen nichts mehr.
Ich roller an meinen Schreibtisch. Ich arbeite fast nur noch von daheim. Der Weg ins Büro ist zu beschwerlich, kostet mich oft mehr Kraft als ich aufbringen kann. Daheim auf Toilette, weil Büro ist nicht behindertengerecht. Auf die Treppenraupe, später auf meinen Plattformlifter, in die Tiefgarage. Pause. Wehe, ich muss wieder auf Toilette. Ich sags dir, wie ich das verflucht hab. Nur zu toppen damit, dass mir das erst im Auto auffällt. Nachdem ich vom Alurolli auf den Fahrersitz meines Autos geklettert war.
Praktisch, dass man in den Schalensitzen auch ohne Rumpfmuskulatur nicht zur Seite umkippt. Ich frage mich, wie viele neue Audi S4 es wohl gibt, die auf Handgas umgebaut wurden. Also linke Hand hält Zigarette und lenkt, während die rechte 354 PS dirigiert. Die einzige Freude, an einem sonst beschwerlichen Weges in die Arbeit. Nicht einmal auf die Behindertenparkplätze vorm Büro verlassen kann man sich. Es reicht nicht, dass dort permanent Arschlöcher stehen, die dort nichts zu suchen haben. Die fangen ja auch noch ernsthaft die Diskussion mit mir an, aus welchem Grund sie dort parken. Bei Lieferanten kann ich die Beweggründe noch verstehen – was das Falschparken auf dem Behindertenparkplatz weder legitimiert, noch irgendwie besser macht – aber was du dir von einigen privaten Zeitgenossen anhören darfst, das ist schon derb. Leider ist die Polizei nie rechtzeitig zur Stelle gewesen. Das Ordnungsamt bestätigt schriftlich, man wisse um das Problem, könne aber praktisch nichts machen. Die Tiefgaragenstellplätze vom Büro sind leider nicht breit genug, um vom Fahrersitz in meinen Vollcarbonrollstuhl zu wechseln. Den habe ich mir extra fürs Büro gekauft, weil ich das zwei Kilo leichte Teil selbständig vom Beifahrersitz nach draußen befördern und vom Fahrersitz aus aufbauen konnte. Noch.
Die Freude war von kurzer Dauer. Bald sollten sich die nötigen Hilfsmittel häufen. Das Baden ohne Deckenlifter, Fehlanzeige. Auf dem WC sitzen, Fehlanzeige. Überhaupt etwas wie Duschen – geht eh nur noch auf dem Duschstuhl in der Badewanne – ohne fremde Hilfe, unmöglich. Es ist ein gewöhnlicher Wochentag. Schon der Weg vom Rolli in die Badewanne ist schwer. Fühle mich wacklig auf den Armen. Andere nutzen ihre Beine. Ich gehe nur noch mit den Armen. Wenn überhaupt. Treppe rauf geht gut. Rückwärts, sitzend. Schaut erbärmlich aus, wie ich meine Beine hinter mir her ziehe, aber führt zum Ziel. Runter ist das zu mühselig. Jedes Bein, eins nach dem anderen, mit den Händen von Stufe zu Stufe tragen, sich wieder aufrecht hinsetzen, Körper wie im Yogasitz hochheben, eine Stufe runter und wieder hinsetzen. Pause. Stressig. Ich hangel mich lieber am Treppengeländer nach unten und hoffe jedes Mal insgeheim, dass mich niemand dabei sieht. Eigentlich lächerlich. Kann schließlich nix dafür, dass ich dabei so behindert aussehe wie ich bin. Und doch gehe ich der Situation aus dem Weg.
In die Wanne habe ich es geschafft. Zurück scheitere ich. Die ersten zwei Mal hintereinander bricht die Seitenplatte aus der Halterung. Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt darüber, was für einen Schrott man zu horrenden Preisen unter die Kundschaft bringen kann, sobald der nur eine Hilfsmittelnummer hat. Das erste Mal schaffe ich es noch zurück auf den Badestuhl. Beim zweiten Mal hänge ich irgendwo zwischen Badewanne und Rollstuhl. Das „schnell noch rüber rutschen“ hat nicht geklappt. Das einzige, was ich jetzt noch machen kann, ist halbwegs kontrolliert zu Boden gleiten. Am besten ohne verdrehte Gelenke und Knochen.
Mein iPhone, treuer Begleiter. Was würde ich ohne das machen? Ich rufe einen Freund an, der sich aus dem Büro in der Stadt gleich auf den Weg zu mir macht. Ich schlage mir derweil die Zeit damit um die Ohren, auf einem Handtuch über Fliesen und Parkett zur Wohnungstür zu robben. Pause. Jetzt muss ich nur einmal noch schaffen, die Tür zu öffnen. Irgendwie klappt das dann doch noch. Ich lehne meinen nackten Rücken gegen die kalte Wand. Und warte. Es fühlt sich gut an, zu warten. Die Gewissheit zu haben, jetzt habe ich alles getan, was zu tun ist. Der Rest liegt nicht mehr in meiner Hand. Das machen andere für mich. Aber was mache ich morgen? Eine Lösung muss her.
Und die „Lösung“, die heißt Pflegedienst. Wieso? Weil ALS ein Arschloch ist. Weshalb? Weil sie mich in diese Ecke drängt. Warum? Weil ich keine bessere Lösung gefunden habe, zu der ich bisher bereit war.