Man möchte mir einfach nicht glauben, wenn ich sage, dass ich jetzt gerade keinen Hunger und keinen Appetit habe und deshalb keine weitere Trinknahrung wünsche.

Man möchte mir einfach nicht glauben, wenn ich behaupte, dass mir 1,5 Liter feinstes Münchner Leitungswasser über die PEG bis 16 Uhr reichen. Ich habe keinen Bock drauf, zu ertrinken.

Man möchte mir einfach nicht glauben, dass es mir überhaupt nicht taugt, vor dem Schlafen noch eine 400 kcal Sondenkost zu nehmen. Es gibt mir einfach nichts, wenn Magen und Darm die ganze Nacht beschäftigt sind.

Man möchte mir einfach nicht glauben, dass ich am besten weiß, wann welches Schlafmittel für mich am besten geeignet ist. Der Arzt hat deshalb sogar schriftlich – mit Praxis-Stempel und persönlichem Autogramm – angeordnet, dass alleinig der Patient darüber zu entscheiden hat, wann welches Schlafmittel zu verabreichen ist. Ausdrücklich auch für den Fall, dass ich mehrere verschiedene Wirkstoffklassen kombinieren möchte und mehr nehme, als meine PflegerInnen für richtig halten. Wie diese Anordnung bei manch Pfleger ankommt? Dreimal darfst du raten…

Man möchte mir einfach nicht glauben, dass ich das ernst meine, das mit der Verordnung. Bei anderen Patienten… Richtig. Bei anderen. Grad im Moment will ich schlafen, und zwar schon seit geraumer Zeit. Es ist schon halb vier, verdammt. Deine Meinung und wie du es bei anderen machst, interessiert mich grad nen Scheiß. Man möchte mir einfach nicht glauben,

Man möchte mir einfach nicht glauben, dass ich merke, ob ich Stuhlgang hatte oder nicht. Man nimmt mir einfach die Decke weg, öffnet ungefragt meine Windel und stellt fest, dass ich ja tatsächlich noch nicht geschissen habe. Natürlich in einer Lautstärke, dass es garantiert auch der letzte meiner Gäste gehört hat. Meine Gäste, deren Blick beim Präsentationen meiner Genitalien schon irritiert war, ändert sich in etwas zwischen ungläubig, fassungslos und verstört.

Und man möchte mir mir – neben unzähligen weiteren Kleinigkeiten – einfach nicht glauben, dass ich einschätzen könne, wie die Maske korrekt sitzen würde. Du hast keine Vorstellung davon, wie frustrierend das sein kann. Stell dir vor, du bist seit 14 Stunden auf den Beinen. Seit 14 Stunden passt die Maske. Kein Drücken, kein Verrutschen, keine Leckage und deshalb auch keine dadurch bedingten Fehlalarme. Keine tränenden Augen, weil ja nichts in die Augen bläst und nichts auf die Tränensäcke drückt.

Und dann kommt eine Pflegefachkraft daher und meint, dass die Maske schief aussieht und sie das nicht so lassen kann. Mein Flehen, mich nicht anzufassen und die Maske in Ruhe zu lassen, wird vorsätzlich ignoriert mit den Worten, ich würde mich irren, was den angeblich guten Sitz der Maske angeht. Ohne etwas anzukündigen und völlig gegen meinen Willen verstellt die- bzw. derjenige die Maske.

Jetzt habe ich auf beiden Seiten Leckage. Und zwar ringsum, oben, unten, Seite. Unbequem ist es. Wegen der hohen Leckage wird die Beatmung fortlaufend getriggert und schiebt ununterbrochen Luft in die Lunge. Passive Hyperventilation, so könnte man es nennen.

Was das jetzt sollte, erkundige ich mich. Die Maske habe unbequem ausgesehen. Ob es ihr Kopf ist, oder meiner, möchte ich wissen. Aber… ich unterbreche für einen zynischen Kommentar. „Es war den ganzen Tag wunderbar, bis du ungebeten daran rumgefummelt und wieder mal alles kaputt gemacht hast.“. Obwohl man es kaum schärfer zum Ausdruck bringen kann ohne unhöflich zu werden, so ändert sich hierdurch… nichts.

Es ist jedes Mal das gleiche. Wenn du mich fragst, gibt es einfach zu viele Pfleger, die ihre neurotische Zwangsstörung an Patienten wie mir ausleben. Noch besser geeignet sind Wachkoma Patienten. Die können sich nämlich nicht einmal beschweren, so wie ich das regelmäßig tue. Let’s face it, was soll ich da schon groß machen? Aushalten und Nachsicht haben. Denn meine PflegerInnen sind auch – herzensgute – Menschen. Irgendwo muss es raus. Und wer kommt dafür außer mir in Frage? Das auffälligste stereotypische Musterdürfte ja wohl sein, dass schon deren Partner das Weite gesucht haben. Wer bleibt da, außer mir, der weder wegrennen kann noch auf die Schnelle einen weiteren Pfleger ersatzweise parat hat? Ja, ich weiß, ich habe genug eigene Probleme.

Aber habe ich die überhaupt? Ist nicht die Verbesserung der Pflege Situation hier das einzige Ziel, das mich seit Monaten umtreibt?

Oder begebe ich mich unterbewusst vielleicht ganz gerne in Situationen, in denen ich massiv Gefahr laufe, dem Stockholmsyndrom zu unterliegen? Weil mir diese Rolle liegt? Ich mich da ganz wohl fühle, insgeheim?

Ist das möglicherweise die Flucht zur Seite, nachdem geradeaus schon deutlich erkennbar ein Ziel zur sehen ist? Und ich es so gar nicht mag, ohne ein alltäglich verfolgtes – kurzfristiges – Ziel zu leben. Abgesehen von meiner Versorgung belastet mich grad herzlich wenig. Der Familie geht es gut, meinen Freunden ebenfalls. Meine Beziehung ist zeitweise ganz schön hakelig, aber wir haben bislang noch alles irgendwie gemeistert. Ich habe eine unkündbare Festanstellung als beratender Geschäftsführer. Ich verdiene heute mit 90% Schwerbehinderung mehr als… über Geld redet man nicht. Geld hat man. Zwinkersmiley.

Andererseits, ich habe bisher noch nie ein Problem damit gehabt, neue Ziele zu definieren. Geht es nicht genau darum? Der Kern dessen, was den Menschen ausmacht, sind doch der Wille und das kontinuierliche Streben nach Verbesserung.

Irgendwas wird sich schon ergeben. Irgendwas ergibt sich immer.

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