Diese Frage steht ganz hoch im Kurs. Darf ich dich besuchen oder ist dir das unangenehm? An sich verständlich, die Frage. Aber hey, ich sehe zwar nicht unbedingt so aus, aber ich bin noch immer derselbe Vollpfosten wie früher. Es hat sich nichts daran geändert, dass ich auf Gesellschaft stehe und jede(n) ins Bett kriege.

Und mal ehrlich. In meinem Blog und dem Buch, an dem ich vielleicht arbeite (oder vielleicht auch nicht, wer kann das schon sagen) findest du Fotos von mir beim Scheißen. Wie viel tiefer kann man deiner Meinung nach denn noch fallen? Dass diese Bilder aus meiner Pflege-Anleitung stammen und lediglich den Toilettengang eines vierseitig gelähmten ALS-Patienten veranschaulichen, das machts auch nicht wirklich besser.

Die viel spannendere Frage ist, wie du damit umgehst. Das weißt du vermutlich selbst noch gar nicht. Kann ich aber noch weniger beantworten als du.

Ich spoilere mal a bisserl, auf was du dich hier einlässt. Sind auch nur ein paar Dinge, die mir gerade spontan einfallen. Die Liste an Kuriositäten und Widerlichkeiten könnte ich noch deutlich verlängern, wenn ich mir nur etwas mehr Mühe geben würde…

  • Zum Pinkeln legt mir der Pfleger die Urinflasche zwischen die Beine. Ich pisse, während ich im Bett liege.
  • Falls ich ausgerechnet dann scheißen muss, während du grad bei mir bist, wirds noch lustiger. Dann schiebt mir der Pfleger nämlich Einwegunterlage und Einlage unter meinen Hintern, steckt mir eine Dulcolax in den Arsch (weil ich als Tetra ohne Rumpfmuskulatur nicht „Pressen“ kann und ohne Zäpfchen zum Abführen nichts läuft), lagert mich auf die Seite und dann warten wir. Lange. Sehr lange. So 1,5 bis 2 Stunden streichen da schon mal ins Land, bis ich fertig bin, geputzt und für dich frisch gemacht wurde.
  • Besuchst du mich am Abführtag oder am Tag danach wirst du damit leben müssen, dass ich eine Windel trage. Die Zäpfchen wirken nämlich ganz gerne zweimal.
  • Ich bilde im Rachen je nach Tagesform mehr oder viel mehr viel Schleim, der regelmäßig unregelmäßig abgesaugt werden muss. Ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Ohne Witz, von mir könnte so manch Horrorfilm Special Effect Artist noch was lernen.
  • Beim Trinken veranstalte ich gerne mal eine Sauerei.
  • Beim Essen, was bei mir auch flüssig ist, veranstalte ich immer eine… was ist denn die Steigerung von Sauerei? Eberei?
  • Ich bin nicht sonderlich gesprächig. Du wirst mit meinem Sprachcomputer Vorlieb nehmen müssen.
  • Vor allem falls wir uns länger nicht gesehen haben, dann wirst du vom ersten Anblick eines 40 Kilo Haut & Knochen Patrick schockiert sein. Aber hey, wie ich schon sagte, das bin immer noch ich. Um genau zu sein, das bin jetzt ich. So ist das.
  • Unser worst case Szenario wäre übrigens, wenn ich aus irgendeinem Grund an ganz akuter Atemnot leide während du mir einen Besuch abstattest. Dann bekommst du die volle Breitseite von Maskenwechsel, Ultraschall-Inhalation, Husten mit Cough Assist (Hustenhilfe, Hustenautomat) bis hin zum tiefen Absaugen. Da stecken dann 30 Zentimeter Absaugkatheter bei mir im Hals drin und der saugt alles raus, was keine Miete zahlt.
  • Und sollte das alles nix bringen, dann gehts mit Rettungswagen und Notarzt mal wieder mit kurzem Abstecher über die Notaufnahme direkt auf die Intensivstation. Willkommen zur nächsten Bronchoskopie.

Über all diese Dinge schreibe ich nicht nur. Ich lege auch noch hunderte Fotos von mir obendrauf. Also wenn das nicht mal eigentlich beschämend ist, dann weiß ich auch nicht. Da stellt sich für mich jedenfalls nicht die Frage, ob mir deine Anwesenheit unangenehm sein könnte. Das ist die falsche Frage, die du da stellst. Vielmehr müsste es wohl heißen, ob dir das zu unangenehm ist mich so zu erleben. Und das, das musst du selbst rausfinden.

Oder suchst du nach einer Möglichkeit, aus der Nummer raus zu kommen, ohne einen Entschluss zu fassen? Dann muss die Frage trotzdem anders heißen. Wie wärs zum Beispiel damit, ob es mir unangenehm ist, dass es dir unangenehm sein könnte? Klare Ansage: nein. Komm vorbei, ich freu mich drauf. Wegrennen kannst du immer noch. Im Gegensatz zu mir. Ich renne nicht hinterher.

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